von Fabian Bennewitz
Dass die Bundesrepublik weltweit die Polizeikräfte anderer Länder ausbildet und ausrüstet, gehört schon lange zu den Aufgaben deutscher Polizeien. Von Anfang an diente die Polizeihilfe, die im Namen der Förderung von Demokratie und Rechtsstaat geleistet wurde, den politischen Zielen der Bundesregierung.
Als Teil ihrer „Friedensbemühungen in der Region“ initiierte die Bundesrepublik in den 1980er Jahren so genannte Polizeihilfeprogramme in verschiedenen zentralamerikanischen Staaten.[1] Zentralamerika hatte sich durch die siegreiche Revolution der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) in Nicaragua gegen die US-freundliche Diktatur Anastasio Somozas 1979 und die in den folgenden Jahren immer deutlichere Anlehnung des Revolutionsregimes an Kuba sowie den sozialistischen Staatenblock zu einem Zentrum des „neuen Kalten Krieges“ entwickelt. Zentralamerika nahm für die Außen- und Sicherheitspolitik der Regierung Helmut Kohl eine solche Bedeutung ein, dass der Kanzler in einer Regierungserklärung 1983 ein stärkeres deutsches Engagement ankündigte. Die Bundesregierung begann sich daraufhin an der Isolationspolitik der USA gegenüber Nicaragua zu beteiligten und den „wirklichen demokratischen Pluralismus“[2] in Zentralamerika zu unterstützen. Einen solchen gab es in den Augen der schwarz-gelben Koalition im „demokratischen Vorzeigeland“ Costa Rica und in den – nach einer vom Militär initiierten demokratischen Öffnung – christdemokratisch regierten Bürgerkriegsstaaten El Salvador (ab 1984) und Guatemala (ab 1986). Diese Länder sollten in der Folge durch beispiellose Entwicklungs- und Wirtschaftshilfen unterstützt werden. Flankiert wurden diese Maßnahmen durch Polizeihilfeprojekte, die die Legitimität der jeweiligen Regierung durch eine Verbesserung der Sicherheitslage erhöhen und die verbündeten Staaten politisch stabilisieren sollten. Die Polizeihilfen für Guatemala und Costa Rica stehen im Zentrum dieses Beitrags.
Insbesondere die Modernisierung der technischen Ausstattung der Polizeien Zentralamerikas, die vor allem in Guatemala und El Salvador als brutale Repressionskräfte der autoritären Regime berüchtigt waren, sorgte dafür, dass die Polizeihilfe innenpolitisch von Beginn an bis zur ihrer Reduzierung nach 1990 (nach der Wahlniederlage der Sandinisten und dem Zusammenbruch des sozialistischen Staatensystems verlor Zentralamerika schnell an geopolitischer Bedeutung) umstritten war. Vor allem aus dem Umfeld der organisierten „Zentralamerika-Solidarität“ und der Partei „Die Grünen“ kamen Vorwürfe, die Bundesrepublik beteilige sich durch die Ausbildung und Aufrüstung der Polizeikräfte an einer „low intensity-Kriegsführung“ der traditionellen Machthaber und betreibe Arbeitsteilung mit den USA, die ihrerseits für die „harte“ Aufstandsbekämpfung zuständig sei.[3] Aus der Luft gegriffen waren diese Vorwürfe nicht, schließlich machte sich die CDU für „eine kluge Kombination amerikanischer und europäischer Mittel zur Unterstützung der demokratischen Kräfte der Region“ stark, um „dem Westen alle entscheidenden Trümpfe in die Hand [zu] geben.“[4]
Das Spannungsfeld zwischen dem postulierten Transfer von an Menschen- und Bürgerrechten orientierten Grundwerten bundesdeutscher Polizeiarbeit und dem Weitergeben von polizeifachlichen Techniken, die auch zur Aufstandsbekämpfung oder für kriminelle Handlungen genutzt werden konnten, belastete die Polizeihilfeprogramme und stellte nicht zuletzt die beteiligten Polizeibeamt*innen vor eine besondere Herausforderung. Ungeachtet aller Kritik entwickelten sich die Polizeihilfen für Costa Rica und Guatemala zu den mit Abstand umfangreichsten bundesdeutschen Engagements in Lateinamerika vor 1990.[5] Im Gegensatz zu früheren, oft punktuellen Kooperationen, beispielsweise mit Chile, Paraguay und Brasilien, entfalteten die Projekte in Zentralamerika durch ihre lange Laufzeit, ihren finanziellen und personellen Umfang und ihren Reformcharakter eine de facto „statebuilding“-Dynamik.
Trotz dieses neuartigen Charakters und der erhitzten politischen Kontroverse in der Bundesrepublik sind die Polizeihilfeprojekte in Zentralamerika der politischen Öffentlichkeit und der zeitgeschichtlichen Forschung heute weitgehend unbekannt.[6] So beginnt die klassische Erzählung deutscher Polizeimissionen im Ausland meist mit dem Einsatz des Bundesgrenzschutzes in Namibia 1990.[7] Die zentralamerikanischen Erfahrungen, die wichtige Dynamiken späterer Ausbildungsprogramme vorwegnahmen, werden meist ausgeblendet. Dies ist unter anderem der Quellenlage geschuldet: Zu Polizeihilfen gelangen von offizieller Seite nur sehr wenige Informationen an die Öffentlichkeit, auch da die zugrunde liegenden Ressortverträge meist auf vertraulicher Basis geschlossen werden.[8] Mittlerweile sind immer mehr Akten aus den entsprechenden Ministerien zugänglich,[9] sodass es nun möglich ist, die konkreten Praxen der Polizeihilfe für Zentralamerika zu rekonstruieren.
Polizeihilfe als außenpolitisches Instrument
Das primär außenpolitische Instrument der Polizeihilfe hatte zum Ziel, „durch den Transfer von Wissen sowie durch die Bereitstellung materieller und personeller Ressourcen Polizeiorganisationen in anderen Ländern aufzubauen und zu reformieren.“[10] Zugleich sollten die Polizeihilfeprogramme einen Beitrag zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit leisten und so befreundete Regierungen stützen. Das Unterstützungsangebot war dabei selten altruistisch, denn Bonn konnte so auf die Sicherheitskräfte und damit auch auf die Innenpolitik befreundeter Staaten des Globalen Südens Einfluss nehmen.[11] Dies war für die „Zivilmacht Bundesrepublik“ von besonderer Bedeutung, da aufgrund der deutschen Geschichte und der Eingebundenheit in das westliche Bündnis andere Formen der Sicherheitsintervention kaum möglich waren. In Lateinamerika ergab sich für die Bundesrepublik als wichtigsten Verbündeten der USA ein besonderer Spielraum, da der US-Kongress bereits 1974 die meisten polizeilichen Ausbildungsprogramme in der Region aufgrund von anhaltenden Menschenrechtsverletzungen gestoppt hatte.[12]
Da sich die DDR und andere sozialistische Staaten sicherheitspolitisch in der Region zu engagieren begannen,[13] waren sogenannte Ausrüstungshilfen – ab 1986 wurde der zivilere Begriff der Ausstattungshilfe genutzt – darüber hinaus auch ein Mittel „(…) Einflußnahmen des Ostblocks und insbesondere der DDR auf die Streitkräfte und Polizeien in den Partnerländern zu verhindern.“[14] Für die Polizeien vor Ort waren die Hilfsprojekte eine wichtige Möglichkeit, oft unzureichende Ausstattung und schlechte Arbeitsbedingungen zu verbessern; zugleich hofften sie, als ernstzunehmende Institution aus dem Schatten der dominanten und finanziell gut aufgestellten Militärs zu treten. Westdeutsche Polizeibehörden versprachen sich von den Kooperationen Informationsaustausch und „kurze Dienstwege“.[15] Auch idealistische Motive, gerade in den Reihen der deutschen Ausbilder, die sich teilweise für eine lange Zeit in die zentralamerikanischen Einsatzorte begaben, um dort rechtsstaatlich handelnde Polizeiinstitutionen aufzubauen, spielten sicherlich eine Rolle.[16]
Costa Rica
Ein Schwerpunkt der Polizeihilfe war zunächst Costa Rica. Im Zuge von Revolution und Bürgerkrieg im Nachbarland Nicaragua gewann das politisch stabile Costa Rica mit seiner demokratischen Tradition für den Westen an Bedeutung. Dazu kam, dass das Land 1948 sein Militär abgeschafft hatte, was es für eine bundesdeutsche Polizeihilfe prädestinierte. Schließlich sollte das „unbewaffnete“, nur von Polizei- und Gendarmerie-Einheiten geschützte demokratische Eiland gegen äußere (Nicaragua) und innere Umsturzversuche (linke „Subversion“) abgesichert werden. Auch mussten die Polizeikräfte in die Lage versetzt werden, sozialen Unruhen und Massenprotesten, die aufgrund einer schweren Wirtschaftskrise Anfang der 1980er Jahre zunahmen, zu begegnen.[17] Costa Rica schien somit kurz davor zu sein, in den Zentralamerikakonflikt hineingezogen zu werden. Dortige Unternehmerverbände und rechte Parteien forderten immer direkter eine Remilitarisierung des Landes, was eine Modernisierung der Polizeikräfte noch notwendiger erschienen ließ, um das Image des Vorzeigestaats zu erhalten.
Bereits unter der Bundesregierung Helmut Schmidts (1974–1982) war daher mit ersten Polizeihilfen begonnen worden. Im Fokus standen zunächst Verkehrspolizeiprojekte, die von der Westberliner Polizei durchgeführt wurden.[18] Als die Grenzverletzungen durch nicaraguanische Truppen zunahmen und es in der Hauptstadt San José zu Anschlägen „antiimperialistischer“ Gruppierungen auf US-Soldaten kam, wandte sich Costa Rica an die Bundesregierung mit der Bitte um Ausbildung in der Terrorismusbekämpfung. Die bundesdeutschen Antiterroreinheiten genossen in Lateinamerika spätestens seit dem GSG9-Einsatz von Mogadischu im „Deutschen Herbst“ 1977 ein enormes Prestige. Da auch das Bundeskriminalamt (BKA) eine Kooperation im Kontext des vereinten Kampfes gegen den „internationalen Terrorismus“ befürwortete, wurden mehrere hohe Polizeioffiziere nach Wiesbaden eingeladen und „mit allen Fragen der Terrorismusbekämpfung in der Bundesrepublik Deutschland vertraut gemacht und intensiv beraten.“[19] Eine deutsche Expertendelegation kam zu dem Schluss, dass Costa Rica auch materielle Unterstützung zur Modernisierung ihrer Polizeikräfte benötige, was rasch zu den ersten Lieferungen von Fahrzeugen und Funkgeräten führte. Als erstes lateinamerikanisches Land wurde es dann ab 1984 in das reguläre Dreijahres-Programm der polizeilichen Ausstattungshilfe des Auswärtigen Amtes aufgenommen, welches in der Folge regelmäßig verlängert wurde. Die Ausstattungshilfe machte mit über 8 Millionen DM zwischen 1982 und 1990 den Löwenanteil der Unterstützung aus, während Ausbildungsmaßnahmen reduziert wurden.[20] Durch die Lieferung von Fahrzeugen und Funkgeräten bzw. Relaisstationen im großen Maßstab trug die Bundesrepublik wesentlich zu einer verbesserten Mobilität und damit Einsatzfähigkeit der Polizei bei, die durch ein Straßenbauprogramm für die peripheren Landesteile, vor allem an der Grenze zu Nicaragua, aus dem Entwicklungshilfebudget noch gesteigert wurde.[21]
Ein grundsätzliches Problem vieler Polizeihilfeprogramme dieser Zeit war die kurze Einsatzzeit des gelieferten Materials durch Unkenntnis in der Handhabung oder fehlende Wartungskapazitäten, wie auch der Bundesrechnungshof 1989 kritisierte.[22] Um die Hilfen effektiver zu gestalten, wurden in Costa Rica ab 1988 alle Ressourcen der Polizeihilfe für Konzeption und Bau eines zentralen Wartungszentrums für Polizeifahrzeuge genutzt.[23] Dies hatte langfristige Effekte für eine bessere Nutzung der vorhandenen Ressourcen und eine bessere Koordination der Polizeikräfte.
Die Konzentration auf die „unpolitischen“ technischen Aspekte der Polizeiarbeit und die Verbesserung der Mobilität war innenpolitisch weniger angreifbar als andere Maßnahmen. Indem die Polizeikräfte durch neue Fahrzeuge mobiler wurden und die Kontrolle des Staatsgebiets durch den Aufbau eines Fernmeldenetzes erleichtert wurde, trug das bundesdeutsche Engagement dazu bei, den costa-ricanischen Staat auch in peripheren Landesteilen präsenter zu machen und durch eine erhöhte Sichtbarkeit der Sicherheitskräfte Kriminalität und politische Proteste einzudämmen.[24] Während die Bundesrepublik auch durch die Erschließung der peripheren Landesteile die Infrastruktur bereitstellte, wandte sich Costa Rica für die eher militärischen Aspekte der Aufstandsbekämpfung an die USA und südamerikanische Länder.[25] Mit dem Amtsantritt des späteren Friedensnobelpreisträger Oscar Arias Sánchez 1986 entspannte sich die Situation an der Grenze zu Nicaragua ein wenig, was allerdings nicht das Ende der deutschen Polizeihilfe bedeutete.
El Salvador
Um die innenpolitische Position der christdemokratischen Regierung Duarte im bürgerkriegsversehrten El Salvador zu stärken, wurden ab 1984 umfangreiche Wirtschaftshilfen und Maßnahmen der technischen Zusammenarbeit vereinbart. Die daraus folgenden Infrastrukturprojekte in Konfliktzonen kamen dabei allerdings indirekt den Aufstandsbekämpfungskapazitäten des Militärs zugute, so Kritiker.[26] Die direkte Unterstützung der Polizei blieb jedoch marginal. Lediglich fünf VW-Ambulanzfahrzeuge wurden an die Nationalpolizei geliefert, die allerdings auch zum Transport von verwundeten Soldaten unter Militärschutz eingesetzt wurden, was zu „Missverständnissen“ hinsichtlich ihrer Bestimmung führen konnte, wie die bundesdeutsche Botschaft einräumte.[27]
Guatemala
Das bevölkerungsreichste zentralamerikanische Land, Guatemala, war seit dem CIA-finanzierten Putsch gegen die Reformregierung Árbenz 1954 fast ununterbrochen von Militärregimen regiert worden. Von 1960 bis 1996 führte das Militär einen brutalen Krieg[28] gegen kommunistisch orientierte Guerillagruppen und die Maya-Bevölkerung, die als soziale Basis des Aufstands ausgemacht wurde. International isoliert, stimmte es schließlich einer demokratischen Öffnung zu. Mit Vinicio Cerezo wurde 1985 ein Christdemokrat ins Präsidentenamt gewählt, der Guatemala in eine neue Ära führen sollte und über gute Kontakte zur in Zentralamerika sehr aktiven Konrad-Adenauer-Stiftung und zur CDU verfügte. Die Bundesregierung „… unterstützt(e) das Bestreben der Regierung Guatemalas, Demokratie und Pluralismus zu fördern und zu festigen. Dazu gehör(e) auch das Bemühen der Regierung, die nationale Polizei nach rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechend der neuen Verfassung des Landes aufzubauen und auszurichten.“[29]
Die Regierung Cerezo stand bereits wenige Monate nach Amtsantritt unter gewaltigem Druck. Die radikale Rechte des Landes nutzte die drastisch ansteigende Kriminalitätsrate in Guatemala-Stadt und die offensichtliche Unfähigkeit der Nationalpolizei, Ermittlungen auf nur einigermaßen rechtsstaatlichem Wege durchzuführen und zugleich die Situation unter Kontrolle zu bringen, um die Regierungsfähigkeit der Christdemokraten in Frage zu stellen und eine Rückkehr des Militärs ins Spiel zu bringen. Um Cerezo in dieser Situation schnell und unbürokratisch zu helfen, nahmen die Unionsparteien auch einen Koalitionskrach in Kauf, als sie am Außenministerium vorbei rasche Materiallieferungen für die Polizei zusagten.[30]
Die sich anschließende Polizeihilfe entwickelte sich mit einem Gesamtvolumen von mehr als 10 Millionen DM zum größten in sich geschlossenen Polizeihilfeprojekt in Lateinamerika vor 1990. Das Paket bestand aus drei Teilen:[31] Die kurzfristigste Maßnahme war die Lieferung von 55 Mercedes-Benz Geländewagen und 5 Omnibussen, 60 BMW-Motorrädern einschließlich Schutzhelmen sowie 144 Handsprechfunkgeräten, Kfz-Funkgeräte, und Ausstattungsgegenstände für die Polizeischule. Aus Mitteln der Finanzhilfe wurde der Bau einer zentralen Kfz-Werkstatt begonnen. Die Übergabe der Fahrzeuge wurde im Februar 1987 mit einem Staatsakt vor dem Präsidentenpalast in Guatemala-Stadt gefeiert.
Die Entsendung von Langzeit-Beratern, die das guatemaltekische Innenministerium bei der Polizei- und Justizreform sowie bei der Modernisierung der polizeilichen Ausbildungsstrukturen unterstützen sollten, flankierte die Maßnahmen. Dazu kamen sechs Kurzzeitberater für die Bereiche Fernmeldetechnik, Ausbildungswesen, Verkehrspolizei und Forensik, die selbst Kurse an der Polizeiakademie gaben und guatemaltekische Multiplikatoren ausbildeten. Dritter und besonders öffentlichkeitswirksamer Bestandteil des Ausbildungsprogramms war die knapp zweijährige Weiterbildung von 20 „Führungsnachwuchskräften“ in der Bundesrepublik, maßgeblich organisiert und betreut von der Polizei-Führungsakademie in Münster-Hiltrup. An verschiedenen Ausbildungsstationen, unter anderem bei BKA, Bundesgrenzschutz und bei unterschiedlichen Landespolizeien, erhielten die Stipendiat*innen in zwei Jahren umfassende Kenntnisse über die Polizeiarbeit des höheren und gehobenen Dienstes (Schutz- und Kriminalpolizei). Die Gruppe sollte später wichtige Aufgaben bei der Reorganisation der guatemaltekischen Nationalpolizei übernehmen. Etwa die Hälfte der Auszubildenden waren Frauen – ein Novum für die guatemaltekische Polizei, zumal auf der Führungsebene, das sicherlich auch an die bundesdeutsche Öffentlichkeit gerichtet war.
Aufgrund der politischen Instabilität in Guatemala (es kam zu zwei Putschversuchen gegen die Regierung Cerezo und die Menschenrechtsverletzungen im Land blieben auf einem hohen Niveau), ausbleibenden Erfolgen bei Reform der Polizei und anhaltender Kritik am Projekt in der Bundesrepublik, wurde der Guatemala-Einsatz Ende 1990 abgebrochen.[32] Von den deutschen Polizeiexperten in Guatemala wurde die Ausrichtung auf schnelle, sichtbare Erfolge kritisiert, die einer gründlichen und langfristigen polizeifachlichen Umsetzung der Zusammenarbeit im Wege gestanden hätten. Auch Sprachbarrieren und die Unterschiede in den institutionellen Traditionen wurden unterschätzt. Während in der Polizeischule ein neues Ausbildungskonzept implementiert werden konnte, konnte das gelieferte Material aufgrund mangelnder Wartungskapazitäten keinen langfristigen Effekt auf die Mobilität der Polizei ausüben, geschweige denn zu einer Reduzierung von Menschenrechtsverletzungen beitragen. Auch die Ausbildung in Deutschland hatte nicht den gewünschten Erfolg, da ein Großteil der in Deutschland Ausgebildeten nicht in den aktiven Dienst aufgenommen wurde. Ursächlich war ein Einstellungsstopp in den Staatsdienst aufgrund finanzieller Engpässe. Hinzu kam, dass die Gruppe als Bedrohung oder zumindest als Außenseiter innerhalb der Polizei empfunden wurde.[33] Eine Demokratisierung der polizeilichen Institutionen wurde nur in wenigen Bereichen erreicht, zum Beispiel in der Polizeischule, wo die Lehrpläne fortan einen wesentlich zivileren Charakter aufwiesen. Allerdings blieb die Bezahlung der Polizeibeamten so gering, dass sich viele Absolventen nach „Nebenverdiensten“ umsahen oder den Dienst quittierten, was die Korruption förderte und die Nachhaltigkeit des Ausbildungssystems hintertrieb. Nach einem versuchten Putsch im Mai 1988 war die Polizei zudem wieder in ein vom Militär dominiertes „Zivilschutzsystem“ integriert worden, was die Reform hin zu einer unabhängigen Polizei praktisch unmöglich machte.[34]
Fazit
Leitnarrativ der Polizeihilfeprogramme für Zentralamerika war die Unterstützung eines demokratischen Aufbruchs, wie in Guatemala, bzw. der Schutz und die Stabilisierung eines demokratischen Systems in Costa Rica. Am spürbarsten war die Polizeihilfe allerdings in beiden Ländern in Bezug auf die Modernisierung der genutzten Technologien. In Costa Rica konnten durch insgesamt stabilere Verhältnisse und größere Eigenleistungen ein Großteil der (technischen) Ziele erreicht werden. Bis auf die Schulung des Führungspersonals der Polizei bei der Abteilung Terrorismusbekämpfung des BKA dienten die hier geschilderten Maßnahmen in Costa Rica nur mittelbar einer Bekämpfung des „internationalen Terrorismus“ oder der Begrenzung einer sozialistischen Expansion in Zentralamerika. Der Fokus lag auf der „unpolitischen“ und damit weniger angreifbaren Modernisierung der Funkkapazitäten und des Fuhrparks der Polizei. Aber, indem diese die Polizeikräfte mobiler und effektiver machten, dienten sie der Stabilisierung des Landes durch eine verbesserte Kriminalitäts- und Aufruhrkontrolle. Die Polizeihilfemaßnahmen waren eng mit der US-Regierung abgestimmt, die parallel zum deutschen Einsatz begann, costa-ricanische Eliteeinheiten für den Anti-Guerilla-Kampf auszubilden. Die Bundesrepublik beteiligte sich damit durch die Bereitstellung wesentlicher Infrastruktur an einer präventiven Counter-Insurgency nach US-Vorbild. Die Polizeihilfe wurde in Bonn jedoch als Schutzmaßnahme der costa-ricanischen Demokratie als so erfolgreich betrachtet, dass sie – nun mit Fokus auf Drogenbekämpfung – auch in den 1990er Jahren weitergeführt wurde, als das geopolitische Interesse an Zentralamerika längst verblasst war. In Guatemala blieb die Polizeihilfe trotz hohen Ressourcenaufwands vor allem eine politische Geste zur Unterstützung einer befreundeten Regierung. Hier wurde besonders deutlich, dass das Instrument vor allem außenpolitische Zwecke zu erfüllen hatte; anders lässt sich die überhastete Aufnahme des Programms, die zu einem größeren Konflikt innerhalb von Koalition und Bundestag führte, nicht erklären. Die Menschenrechtslage blieb katastrophal. Daran konnte auch die Ausbildung guatemaltekischer Polizeibeamt*innen nach deutschen Lehrplänen nichts ändern – zu unterschiedlich waren die polizeilichen Realitäten, zu verkrustet die Strukturen im Sicherheitsapparat, der nach einem Putschversuch dann auch wieder nach den Vorstellungen des Militärs reorganisiert wurde. Ohne politische und wirtschaftliche Stabilität sowie einen demokratischen Konsens innerhalb von Polizei und Gesellschaft waren ihre vorgeblichen Ziele – Demokratisierung und Rechtsstaatsbindung der Polizei – auch durch die Modernisierung von Strukturen und technischer Ausstattung der Polizei nicht zu erreichen. Eine unbeabsichtigte Folge sollte das Guatemalaprojekt jedoch haben: Am 6. November 1986, nach der erst spät erfolgten Einbeziehung des Parlaments während der überhasteten Anbahnungsphase des Programms, verbot der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags die künftige Finanzierung von regulären Polizeihilfen aus dem Etat der Entwicklungshilfe.[35]
[1] Auswärtiges Amt (AA): Sprechzettel Ausrüstungshilfe für Costa Rica, 12.12.1984, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA) Berlin, B 33 (ZA), 135964
[2] BT-Plenarprotokoll 10/4 v. 4.5.1983, S. 72
[3] Diese Vorwürfe wurden von der Opposition im Bundestag geäußert, s. BT-Drs. 10/5864 v. 18.7.1986, S. 35
[4] BT-Plenarprotokoll 10/114 v. 17.1.1985, S. 8454
[5] Im globalen Vergleich waren jedoch afrikanische und asiatische Staaten Hauptempfänger bundesdeutscher Polizeihilfen vor 1990. Vgl. z. B. die Überblicke in Bürgerrechte & Polizei/CILIP 20 (1/1985), S. 56-68, 31 (3/1988), S. 58-83 und 40 (3/1991), S. 84-90
[6] Informationen finden sich vor allem in zeitgenössischen Publikationen von Zentralamerika-Solidaritätsgruppen, Menschenrechtsorganisationen oder den Grünen
[7] z. B. Burchard, A.: 1989-2009: 20 Jahre Auslandseinsätze der deutschen Polizei, in: Polizei heute 2009, H. 1, S. 17-20. Für einen Überblick über den Einsatz deutscher Polizist*innen im Ausland jenseits von Polizeihilfe, s. Busch, H.: Von der Ausnahme zur Normalität. Polizei unterwegs im Ausland, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 96 (2/2010), S. 3-4
[8] Busch, H.: Polizeiliche Entwicklungshilfe – Ein Beitrag der BRD zur „Befriedigung staatlicher Grundbedürfnisse“ in Ländern der Dritten Welt, in: Bürgerrechte und Polizei/CILIP 31 (3/1988), S. 58-86 (63)
[9] Das DFG-geförderte Projekt „Deutsche Polizeihilfe für Lateinamerika (1949-1989): Umfang, Praxis und transnationale Verflechtungen“ (2017-2020) am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin unternahm eine erste systematische Archivrecherche in Lateinamerika und der BRD.
[10] Ostermeier, L.: Imaginationen rechtsstaatlicher und demokratischer Polizei. Deutsche Polizeiprojekte in Afghanistan von 1957 bis 2010, Weinheim 2017, S. 15
[11] Polizeihilfe für die Dritte Welt, in Bürgerrechte & Polizei/CILIP 2 (1979), S. 20-23
[12] Gose, S.: Deutsche Polizeihilfe für Lateinamerika: Sicherheitspolitik auf dem kleinen Dienstweg, in: antimilitarismusinformation 1998, H. 12, S. 50-59 (52)
[13] Storkmann, K.: East German Military Aid to the Sandinista Government of Nicaragua, 1979-1990’, in: Journal of Cold War Studies 2014, No. 2, S. 56-76; Yordanov, R.: Outfoxing the Eagle: Soviet, East European and Cuban Involvement in Nicaragua in the 1980s, in: Journal of Contemporary History 2020, No. 4, 871-892
[14] Schwarz, W.: Was man unter Ausstattungshilfe verstehen kann, in: Hagena, H./ Mutz, R. (Hg.): Streitkräfte und Strategien. Sicherheitspolitik – kontrovers diskutiert. Beiträge einer Sendereihe des Norddeutschen Rundfunks, Baden-Baden 2001, S. 171-174 (172)
[15] Schenk, D.: BKA – Polizeihilfe für Folterregime, Bonn 2008, S. 222; Busch a.a.O. (Fn. 8), S. 63
[16] Für den hohen persönlichen Einsatz mancher Langzeitberater s. das Interview mit Hugo Christen, in: Medico International: Am besten rede ich mal frei von der Leber weg: Über die Polizeihilfe für Guatemala, Medico Report 13 (1991), S. 3-27
[17] Ernst, M.: Dem Kommunismus die Zähne zeigen, in: Ernst, M./Schmidt S. (Hg.): Demokratie in Costa Rica. Ein zentralamerikanischer Anachronismus?, Berlin (West) 1988, S. 86-101
[18] Senator für Inneres Berlin, An AA, Ausbildung von Beamten der Republik Costa Rica bei der Berliner Polizei, 11.02.1982, PA AA, B 33 (ZA), 135962
[19] BKA an AA, BMI: Botschaft San José, Ausbildungshilfe für Sicherheitskräfte von Costa Rica, 05.12.1981, PA AA, B 33 (ZA), 127400
[20] Für einen Überblick über die bundesdeutschen Polizeihilfemaßnahmen in Costa Rica in den 1980er Jahren, s. Bennewitz, F.; Müller, M.-M.: Importing the ‘West German model’: Transnationalizing counterinsurgency policing in Cold War Costa Rica, 2021 (unveröffentlichtes Manuskript)
[21] Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: An AA, Technische Zusammenarbeit mit Costa Rica, 25.9.1987, PA AA, SANJ, 20712
[22] BT-Drs. 11/5383 v. 16.10.1989, S. 21
[23] Botschaft San José: An AA, Ausstattungshilfe 1988-1990, 12.12.1988, PA AA, B 46 (ZA), 158062
[24] Weller, J.: Costa Rica passt sich an, in: Istmo. Studien zu Zentralamerika 11 (1986), S. 6-30 (22, 25)
[25] Ernst a.a.O.(Fn. 17), S. 88-92
[26] Gottwald, G.: Bundesdeutsche El-Salvador-Politik: Entwicklungshilfe und Stiftungsaktivitäten, in: Istmo. Studien zu Zentralamerika 10 (1985), S. 34-49; Falk, R.: Die heimliche Kolonialmacht: Bundesrepublik und Dritte Welt, Köln 1985, S. 130
[27] Botschaft San Salvador an AA: Ausrüstungshilfe, hier: Parlamentarische Anfragen, 08.06.1984, PA AA, B 33 (ZA), 135981
[28] Die durch die UN geförderte Wahrheitsfindungskommission „Comisión para el Esclarecimiento Histórico” stufte die Kriegshandlungen gegen die Maya-Bevölkerung 1993 als Völkermord ein. Guatemala Memory of Silence: Report of the Commission for Historical Clarification. Conclusions and Recommendations, Guatemala City 1993, S. 41
[29] BT-Drs. 10/5961 v.19.8.1986, S. 1
[30] AA, 331: Ausstattungshilfe für die guatemaltekische Polizei, hier: Ressortbesprechung im BMZ am 25.6., 27.06.1986, PA AA, B 46 (ZA), 158049
[31] BT-Drs. 11/3579, v. 30.11.1988
[32] BT-Drs. 11/8299 v. 24.10.1990
[33] Zu den lokalen und transnationalen Dynamiken, die das Projekt entscheidend veränderten, s. Bennewitz; Müller a.a.O. (Fn. 20)
[34] Americas Watch (Hg.): Closing the Space. Human Rights in Guatemala. May 1987– October 1988. An Americas Watch Report, New York 1988, S. 16f.
[35] Haushaltsausschuss, 10. Wahlperiode, Kurzprotokoll der 105. Sitzung, TOP 1 Beratung über Einzelplan 23, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestags, Berlin, 3106, 10. WP, Prot. 105, 6.11.1986, S. 1-18
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