von Lina Schmid und Gonca Sağlam für KOP Berlin
Biplab Basu ist am 14. März 2024 in Berlin verstorben. Zwei Mitstreiterinnen blicken zurück auf einen Revolutionär, dessen Schwerpunkt immer auf dem Zwischenmenschlichen lag. Um die Menschen sollte es gehen, was sie im Hier und Jetzt brauchen, und um Menschlichkeit. Für Biplab Basu hat die Arbeit nie bei abstrakten politischen Fragestellungen aufgehört. Stattdessen war ihm klar, dass sich Veränderung nur durch liebevolle und radikale Beziehungen zueinander erreichen lässt und indem wir alternative Räume schaffen, wo genau dies möglich ist.
Biplab, du hast dich nie als Abolitionist verstanden. Im Gegenteil, Abolitionismus war für dich ein Trend und ein ausgehöhltes Wort. Wer weiß, ob du überhaupt Erwähnung in dieser Ausgabe hättest finden wollen. Aber wir sind der Überzeugung, dass du fernab von Labels, Theorien oder sozialpädagogischen Konzepten ein Vorreiter und Leuchtturm warst. Du hast uns den Weg geebnet für vieles, wofür wir jetzt eine Sprache haben: Racial Profiling, Transformative Justice, Abolitionismus. Wenn wir eingeladen wurden, um über abolitionistische Praxis zu sprechen, hast du beim Wort geschmunzelt oder leise in dich hinein gekichert.
Deine Kritik ging aber auch tiefer als das. Du hast hinterfragt, was Menschen eigentlich meinen, wenn sie „Abolish the Police“ schreien. Denn nur weil die Polizei abgeschafft wird, heißt das nicht, dass wir direkt weniger Gewalt erfahren, weniger diszipliniert, schikaniert, inhaftiert oder getötet werden. Dass wir in einer gerechteren Welt leben würden. Du hast das Justizsystem als Ganzes angegriffen. Für dich ging es nicht nur um die Abschaffung der Polizei, sondern darum, die Zusammenarbeit von Gerichten, Staatsanwaltschaft, Gefängnissen und der Polizei als vollständiges Justizsystem zu verurteilen und abschaffen zu wollen. Denn deine Rassismuskritik hat immer die beteiligten Institutionen der Disziplinierung in den Blick genommen. Deiner Überzeugung nach sollten wir doch etwas ganz Anderes abschaffen: das kapitalistische System. „Weißt du, was die Leute eigentlich sagen wollen? Abolish the whole capitalist system. Aber das trauen sie sich nicht, weil sie sonst verhaftet werden.“ Deshalb hast du deine eigenen Wege gefunden, um dem System und der Gewalt, die es mit sich bringt, etwas entgegenzusetzen. Und du hast es geschafft, dadurch unzählige Menschen zu inspirieren.
Ein unermüdlicher Kämpfer
Dein Weg fängt früh an und es ist unmöglich dir hier gerecht zu werden. Aber was wir versuchen können, ist nachzuempfinden, mit was für Wünschen und Visionen du an das Leben herangetreten bist. Für dich war immer klar, Privates und Politisches müssen verknüpft werden. Du bist 1951 in Kalkutta geboren, vielleicht direkt als Kommunist, aber genau lässt sich das nicht sagen. Jedenfalls hast du dich früh politisch engagiert, auf diversen Plätzen öffentliche Reden gehalten und dich in der Schule gegen Ungerechtigkeiten eingesetzt. Schließlich organisierst du dich und ziehst in den bewaffneten Untergrund, sodass du zeitweise zehn Monate deines Lebens inhaftiert warst. Zwar teilst du diese Zeit auf deine so humorvolle Weise, aber die Kritik an staatlicher Repression, Gewalt und Bestrafung wird darin mehr als deutlich. Du hattest keine Angst, die Wahrheit auszusprechen, gegen die herrschende Regierung und für die Unterdrückten dieser Welt zu kämpfen. Dafür musstest du mit deiner Freiheit bezahlen.
Dein ganzes Wesen war politisch und deine ganze Politik dein privates Wesen. Als du 1979 nach Deutschland ziehst, wird institutioneller und struktureller Rassismus dein zentrales Thema. Denn für dich ordnet Rassismus die Gesellschaft und zwingt die Menschen dazu, sich voneinander zu entsolidarisieren. Dagegen hast du dich gewehrt. Vor allem aber hast du Betroffenen ihre Stimmen zurückgegeben, sie sollten am lautesten sein. Du hast nicht zugelassen, dass ihre Schreie nach rassistischen Polizeimaßnahmen ins Leere verlaufen, ihre Geschichten nicht erzählt werden, ihre Verletzungen nicht verheilen und Angehörige verstummen. Mehr als 20 Jahre hast du bei ReachOut, der Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, Lebensberatungen gegeben. Menschen kamen zu dir, weil du eine Beziehung zu ihnen aufgebaut hast und weil du an sie geglaubt hast. Du hast mit kreativen Ansätzen entmenschlichende Institutionen umgangen und das Sicherheitsgefühl von Betroffenen außerhalb staatlicher Regularien wiederhergestellt.
Mit der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) dokumentieren wir Fälle, planen Aktionstage, machen Öffentlichkeitsarbeit und geben Workshops. Dir war es egal, ob du vor 5 oder 5.000 Menschen gesprochen hast, alle sollen wissen, was Racial Profiling ist und wie man sich dagegen wehren und solidarisieren kann und wie tiefreichend die Kritik am Justizsystem sein muss, um Veränderungen zu provozieren. Solidarische Anwält*innen befinden sich schnell in deinem Freund*innenkreis und unterstützen zudem Betroffene vor Gericht, die Lawyers of Color gründen sich – du verstehst dich als Anwalt der Entrechteten.
Biplab, es gibt zahlreiche Beispiele für diese so bewundernswerte Herangehensweise von dir: sei es, dass für dich Beratungsarbeit nicht nur bedeutet hat, die Menschen informativ auf Konfrontationen mit dem Staat vorzubereiten oder sie kurzfristig zu entlasten, sondern langwierige und tiefgängige Beziehungen zu begründen. Oder dass du finanziell unterstützt hast, wo du nur konntest, ob durch den Rechtshilfefonds der KOP oder privat war dabei keine Frage. Wo du helfen konntest, hast du das getan. Du warst für die Menschen da, hast sie auf jedem Schritt ihres Weges begleitet: im Gerichtssaal, bei ReachOut, durch Kampagnen oder bei Hochzeiten und Gartenfesten. Du hast Freund*innenschaften aufgebaut und Menschen zusammengebracht, wo das Ziel des Staates war zu spalten. Du warst rund um die Uhr erreichbar, nicht weil du es musstest, sondern weil es für dich immer eine Herzensangelegenheit war, zu verdeutlichen, dass niemand seinen Weg allein gehen muss. Du hast alle, mit denen du in Kontakt kamst, selbstverständlich als Ganzes begriffen und ihnen nachhaltig Ängste vor den Ungerechtigkeiten dieser Welt genommen. Und du hast dein Wissen und deine Werte geteilt: von dir durften wir lernen. Alles an dir war ein Archiv der Berliner Aktivismusgeschichte.
Allen Widersprüchen zum Trotz
Im März schreibt unsere Genossin Johanna Mohrfeldt in der Jungen Welt:
„Als vor einiger Zeit in Kreuzberg ein Reader mit Texten zu Abolitionismus vorgestellt wurde und alle Podiumsteilnehmer etliche Male betont hatten, wie wichtig es sei, gewaltvolle Institutionen wie die Polizei nicht nur zu reformieren, sondern sie abzuschaffen, meldete er sich als erster und begann, sein Statement ironischerweise mit den Worten, er sei Reformist – er, der selbst immer wieder die Abschaffung der Polizei gefordert hatte.“
Ehrlich, Biplab, wie hast du das geschafft? Du hast dich nicht hinter politischen Identitäten versteckt, sondern Widersprüche gelebt. Mit der härtesten Kritik hast du das System angegriffen und misstraut, bist selbst aber nie an den Widersprüchen des Lebens und Grenzen des Systems verzweifelt. Du hast nicht aufgegeben. In deinem Kopf und in der Sprache hat alles immer Sinn gemacht, und zum Schluss ging es dir immer um die Entrechteten und Marginalisierten dieser Welt. Egal, ob du es als Abolitionismus, Empowerment oder Sozialreform bezeichnet hast. Du hast den Fokus nie verloren. Die politischen Machtverhältnisse ändern sich: während sich derzeit so viele Menschen vor staatlicher Gewalt wegducken, weil sie Angst haben, dass sie soziale Kürzungen treffen könnten, hast du klar Haltung gegen antimuslimischen und antipalästinensischen Rassismus bewahrt. Du stellst dich gegen die Kriminalisierung von Stimmen in Berlin, die Menschenrechtsverletzungen in Gaza und im Westjordanland.
Du hattest keine Angst. Die Institutionen in Deutschland sind mächtig, aber wenn wir mehr an Menschen glauben als an Institutionen, so wie du es getan hast, werden wir uns erfolgreich weiterorganisieren und zusammen weiterkämpfen, in deinem Sinn. Wir sitzen in deinem Büro bei ReachOut, du drückst munter scharfe Analysen in einfachen Worten aus und schaust dabei liebevoll über den Rand deiner Brille. Ich frage dich: „Biplab, wie kannst du nicht an der ganzen Scheiße auf der Welt verzweifeln?“ Und du sagst: „Warum sollte ich? Ich liebe das Leben. Und ich liebe Menschen.“ Diese Menschen waren für dich eine Energiequelle und du eine Inspiration für alle, die das große Glück hatten, dich kennen zu lernen. Dich nicht zu lieben, unmöglich.
Und dann bist du gegangen: Ein Vorreiter, Genosse und Held im Kampf gegen rassistische Polizeigewalt – und einer der liebevollsten Menschen, die wir kennenlernen durften. Bundesweit und international wird deutlich, wie viele Menschen du geprägt hast und wie viele um dich trauern, Biplab. Deine Klarheit, dein Humor, deine Hartnäckigkeit, dein Mut und Unermüdlichkeit fehlen uns. Du fehlst uns. Wir halten deinen Kampf und deinen Namen in Ehren und geben nicht auf, bis jede*r Einzelne von uns in Freiheit und Gerechtigkeit lebt. Wir geben nicht auf, den rassistischen Normalzustand zu durchbrechen, Institutionen in Frage zu stellen und aufeinander aufzupassen, uns zu inspirieren und nicht an den Ungerechtigkeiten dieser Welt zu verzweifeln. Wir denken dabei immer an dich und sind uns sicher, das würde dir gefallen.
Rest in Power, Biplab Basu.