Zum Schwerpunkt
Dass Private Strafverfolgung betreiben, dass die Übertretung allgemeinverbindlicher Gesetze nicht von staatlichen Organen verfolgt wird, dass es unterschiedliche Konstellationen der (Nicht-)Zusammenarbeit zwischen öffentlich-staatlichen und privatwirtschaftlich organisierten Einrichtungen gibt – über diese unübersehbaren Entwicklungen gibt es zumindest im deutschen Sprachraum nicht viel mehr als vage Vermutungen, die sich aus „Skandalen“ und journalistischen Berichten nähren. Seriöse wissenschaftliche Veröffentlichungen sind so gut wie nicht vorhanden. Im Unterschied zu jenen privat-öffentlichen Polizeikooperationen, die sich auf Streifendienste, die Überwachung des Raumes etc. beziehen, findet die „private“ Bearbeitung strafbaren Verhaltens ebenso wie die Arbeitsteilung mit der öffentlichen (Kriminal-)Polizei unter Ausschluss von Öffentlichkeit und Wissenschaft statt. Nur wenige Ausnahmen sind erwähnenswert.
Morath, Mona: Private Strafermittlungen. Eine Studie unter besonderer Berücksichtigung der Problematik privater Straftatenaufklärung durch organisierte Sicherheitsdienste, Hamburg 1999
Angesichts der (damals) erwarteten Steigerungen von Kriminalität und den begrenzten Ressourcen, die für den Ausbau der Polizeien zur Verfügung stünden, plädierte diese juristische Dissertation für ein „kooperierendes Miteinander“ (S. 268) von Polizei und privaten Ermittlungsdiensten. Grundlegende rechtliche Probleme werden nicht gesehen. Die privaten Ermittler müssten besser ausgebildet, die Betriebe müssten konzessioniert werden. Die Tätigkeiten der Privaten seien durch Datenschutzbestimmungen, allgemeine Persönlichkeitsrechte, durch das Strafrecht und durch das Verbot verdeckter Methoden ausreichend begrenzt. Lediglich das Verbot bestimmter Vernehmungsmethoden müsste auf die Privaten ausdehnt werden. Unter diesen Bedingungen, so meint die Autorin, stellten „private Strafermittlungen“ eine „sinnvolle Ergänzung“ des staatlichen Strafverfolgungssystems dar.
Bussmann, Kai-D.; Werle, Markus M.: Addressing Crime in Companies. First Findings from a Global Survey of Economic Crime, in: British Journal of Criminology 2006, No. 6, pp. 1128-1144
Im Jahr 2005 wurden rund 5.500 Unternehmen weltweit über ihre Erfahrungen mit und ihre Reaktionen auf Wirtschaftskriminalität befragt. Die Untersuchung erfolgte in Zusammenarbeit mit „Price Waterhouse Coopers International“, einem der großen Anbieter auf dem globalen Sicherheitsmarkt zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität. Interessant an den Befunden ist die insgesamt geringe Bedeutung, die die Unternehmen der staatlichen Polizei geben: Nur vier Prozent der Delikte seien von der Polizei entdeckt worden – wobei erhebliche regionale Unterschiede existieren. Die Bereitschaft, die öffentliche Strafverfolgung einzuschalten, sinke erheblich, wenn der Beschuldigte aus dem Unternehmen stamme. In 80 Prozent dieser Fälle komme es zu einer Entlassung, nur die Hälfte würden zur Anzeige gebracht. Weltweit, so die Autoren zusammenfassend, hätten Unternehmen „ein Set von Strategien zur Prävention und Kontrolle im Schatten des Systems der Kriminaljustiz“ entwickelt.
Jaeger, Rolf Rainer: Problematik privater Ermittlungsorganisationen in Unternehmen, in: der kriminalist 2008, H. 1, S. 19-24
Aus polizeilicher Sicht benennt der stellvertretende Bundesvorsitzende des „Bundes Deutscher Kriminalbeamter“ einige problematische Aspekte „privater Ermittlungsorganisationen“ in Unternehmen. Die Bedeutung dieser „Firmenkripo“ werde insgesamt erheblich unterschätzt. Für ihre Arbeit sei kennzeichnend, dass sie sowohl im Hinblick auf die verfolgten Ziele wie die eingesetzten Methoden an die Interessenlage der Unternehmen gebunden blieben. Schadensbegrenzung und -wiedergutmachung, einvernehmliche und „geräuschlose“ interne Lösungen, Rückgriff auf die Polizei nur in besonderen Konstellationen – das seien die grundlegenden Merkmale dieses Gewerbes. Die Kosten für die Allgemeinheit (die Geltung des Strafrechts wird unterlaufen, kriminelle Beschäftigte und Kunden suchen sich neue Opfer) und für die Betroffenen (geringer Schutz gegen falsche Anschuldigungen und unerlaubte Ermittlungen; „Ermittlungen“ und Strafe erfolgen durch das Unternehmen) sind offenkundig. Liest man Jaegers Kritik aufmerksam, kann man kaum für privat-polizeiliche Kooperationen plädieren. Wer es Ernst meint mit rechtsstaatlichen Garantien, mit dem Schutz von Beschuldigten, mit der Gewaltenteilung und mit der Gültigkeit eines allgemeinen Rechts, der muss „Firmenkripos“ als undemokratische Einrichtungen ablehnen.
Schneider, Stephen: Privatizing economic crime enforcement: Exploring the Role of Private Sector Investigative Agencies in Combating Money Laundering, in: Policing & Society 2006, No. 3, pp. 285-312
Favarel-Garrigues, Gilles; Godefroy, Thierry; Lascoumes, Pierre: Sentinels in the Banking Industry, in: British Journal of Criminology 2008, No. 1, pp. 1-19
Die Bekämpfung der Geldwäsche ist eines der zentralen Felder, in denen die Interessen der Privatwirtschaft (Banken etc.), des Staates und einer spezialisierten Sicherheitsindustrie gleichförmig zusammenlaufen. Seit die Geldwäschebekämpfung zum strategischen Ansatzpunkt zur Schwächung von Drogenhandel, organisierter Kriminalität und Terrorismus geworden ist, genießen die Initiativen, „schmutziges“ Geld aus dem sauberen Geldkreislauf fernzuhalten, politische Priorität. Die Fallstudien zu fünf englischsprachigen Ländern (Schneider) und zu Frankreich (Favarel-Garrigues u.a.) werfen ein Schlaglicht auf die entstehende Professionalisierung der „privaten“ Geldwäschebekämpfer und ihre Zusammenarbeit mit staatlichen Instanzen. Während Schneider für eine stärkere Regulierung der privaten Aktivitäten plädiert, um sie in eine Partnerschaft mit dem Staat einzubinden, betonten die Autoren der französischen Studie bereits entstandene Kooperationen, die zu einer „joint intelligence production“ geführt haben.
Gill, Martin; Hart, Jerry: Policing as a business: The organisation and structure of private investigation, in: Policing & Society 1997, No. 2, pp. 117-141
Nur als Illustration, was anderswo schon lange möglich war, in Deutschland niemanden zu interessieren scheint: Gill und Hart fertigen Mitte der 90er Jahre eine empirische Bestandsaufnahme des privaten Ermittlungsgewerbes in England an. Im Ergebnis liefern sie vier idealtypische Modelle, in denen „private investigators“ tätig werden: 1. der allein arbeitende Ermittler, 2. kleinere Firmen mit wenig Beschäftigten, die in der Regel für Rechtsanwälte tätig werden, 3. Firmen mit mehr Beschäftigten, größerem Umsatz und regionaler oder nationaler Reichweite und 4. „prestige companies“, die sich auf wirtschaftskriminalistische Ermittlungen spezialisiert haben. Durch formelle und informelle Netzwerke seien die unterschiedlichen Akteure miteinander verbunden.
Aus dem Netz
Wenig erfährt man auf der Hompage des „Bundesverbandes Deutscher Detektive e.V.“ über die Ermittlungstätigkeiten seiner Mitglieder (die nur ca. 10 Prozent der Detekteien Deutschlands ausmachen). Immerhin lässt sich den jährlichen Kurzberichten entnehmen, dass 2009 mehr als die Hälfte der Aufträge aus „Wirtschaft/Industrie/Handwerk“ kamen. Dabei stellten Banken, Kreditinstitute und Versicherungen nur 16 Prozent der Auftraggeber. In 52 Prozent der Fälle hätten die „detektivischen Ermittlungsergebnisse“ zu einer „privaten oder innerbetrieblichen Regelung“ geführt; in 30 Prozent sei es zu einer Anzeige/einem Prozess gekommen.
Der „Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen e.V.“ ist der Spitzenverband der privaten Sicherheitsbranche. In seinem Focus stehen die klassischen Bewachungs- und Sicherungstätigkeiten. In welchem Ausmaß seine 828 Mitgliedsfirmen – darunter die Großen der Branche – auch kriminalistisch tätig werden, lässt sich der Homepage nicht entnehmen.
In der „Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft e.V.“ (ASW) sind faktisch die Sicherheitsabteilungen der großen Unternehmen zusammengeschlossen. Mitglieder sind neben acht Landesverbänden u.a. die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft (DIHK, BDI, BDA) sowie der BDWS und der BDD. Nach ihren „Leitsätzen“ vertritt die ASW „die Sicherheitsinteressen der Wirtschaft gegenüber Politik, Staat und Gesellschaft“. Der Verband propagiert ein „Sicherheitsmanagement“ als „kontinuierliche(n) Prozess der frühzeitigen Identifizierung und Abwehr aller Risiken und Gefahren unter Berücksichtigung der Unternehmensstrategie und Geschäftsziele“. Die Zusammenarbeit mit dem Staat müsse intensiviert werden; ein „nationaler Sicherheitsrat“ sei denkbar. Und auch die „Errichtung integrierter gemeinsamer Frühwarnstrukturen“ sei möglich.
(alle: Norbert Pütter)
Sonstige Neuerscheinungen
Hoogenboom, Bob: The Governance of Policing and Security. Ironies, Myths and Paradoxes, Houndmills, Basingstoke (Palgrave Macmillan) 2010, 236 S., EUR 71,–
Zwölf Kapitel Altpapier, eine zu harte Bewertung? Hoogenboom ist es nicht gelungen, einen einzigen neuen Gedanken zu entwickeln, von den Redundanzen einmal abgesehen, auch wenn er in der Einleitung (S. 9) behauptet, er werde die Leser mit seinem Buch noch sensibler machen für Entwicklungen in der Kriminalpolitik „by pinpointing new themes and new research questions“. Um es wenigstens anzudeuten, im zweiten Kapitel heißt es etwa, es sei zwischen „fictional“ and „factual policing“ zu unterscheiden (S. 17-38), also: nicht alles, was zu Veränderungen in Polizeitaktiken und -strategien von Politik, Polizei und Sozialwissenschaft behauptet wird, findet tatsächlich statt. Chapeau! Den Vorwurf, seine Kolleginnen und Kollegen aus der Kriminologie würden sich nicht oder zu wenig um die Empirie kümmern – „factual policing is a ‚neglected‘ subject“ (S. 20) –, erhärtet er nicht. Im dritten Kapitel, das sich mit „neuen“ Kooperationsformen zwischen Polizei, Militär, Geheimdiensten und der Bedeutung neuer Technologien für die Polizeiarbeit auseinandersetzt, behauptet er zum Ende apodiktisch, all das sei „underresearched and … in fact sometimes not studied at all“ (S. 56). Nun, dass es immer noch mehr Forschungsbedarf geben kann, geschenkt, aber es wäre dann doch schön gewesen, Hoogenboom hätte sich die Mühe gemacht, aktuelle Literatur zu den von ihm vermeintlich identifizierten Forschungslücken zur Kenntnis zu nehmen – die Studien von Wakefield (2003) und Button (2007) zur Zusammenarbeit von Polizei und kommerziellen Sicherheitsdiensten tauchen in der Literatur nicht auf, auch nicht die Arbeiten von Coaffee et al. (2009) und Aas et al. (2009) zur Bedeutung von Überwachungstechnologien – Stephen Graham (2004, 2009) scheint ihm gar kein Begriff; die Liste ließe sich fortsetzen. Selbst die (berechtigte) Kritik am Konzept des „nodal policing“-Ansatzes von Shearing, Stenning, Wood und anderen – noch dazu unter dem Motto „was sich liebt, das neckt sich“ (S. 200, deutsch im Original) – verbleibt an der Oberfläche. Der Verlag hatte das Buch stets als Koproduktion mit Maurice Punch angekündigt, und Hoogenboom erwähnt in einer Endnote, „we disentangeled ourselves from this book and chose different avenues“ (S. 216). Vielleicht hätte Hoogenboom besser an der Seite von Punch bleiben sollen – ein ärgerliches und überflüssiges Buch.
Deflem, Mathieu (ed.): Surveillance and Governance: Crime Control and Beyond, Bingley (Emerald Publishing) 2008, 378 S., EUR 77,–
Der vom Soziologen Mathieu Deflem herausgegebene Band umfasst 16 Beiträge, die, in vier Unterkapitel gegliedert, sich der Foucaultschen Gouvernementalitätstheorie verpflichtet fühlen. Im ersten Teil, Boundaries and Spaces, wird die (soziale Konstruktion der) Grenze und der überwachte Raum so in den Blick genommen, dass deutlich wird, Überwachung ist heute Bürgerpflicht (James Walsh), aber auch hoch umstritten – Videoüberwachung anlässlich der Winter-Olympiade 2010 in Vancouver und Whistler (Kevin Haggerty, Laura Huey, Richard Ericson) – und sehr variabel einsetzbar – Überwachung am Flughafen Orly und im ‚Problemquartier‘ Dammarie-Les-Lys. Im zweiten Abschnitt, Technologies and Strategies, wird Hausarrest als Teil neoliberaler Regierungsform gelesen (William Staples, Stephanie Decker), dem FBI in Universitäten und Bibliotheken nachgespürt (Scott White), staatliche Überwachung in sozialen Bewegungen analysiert (David Cunningham, John Noakes) und werden kommerzielle Sicherheitsdienste als Verlängerung des staatlichen Gewaltmonopols identifiziert (Michael McCahill). Unter der Überschrift Objectives and Counter Objectives wird u.a. gezeigt, wie ‚der Bürger‘ in Australien, Großbritannien, Kanada und den USA (freiwillig) zum Koproduzenten von Sicherheit wird – solange er weiß ist (Janet Chan). Die Doppelrolle des Internet als Ort politischen Widerstands (Benoit Dupont) und effektiverer staatlicher Kontrolle (Kevin Stevenson) wird ebenso beleuchtet, wie – im letzten Abschnitt, Beyond Crime Control – der Einsatz von Überwachungstechnologien im Schulwesen, die Ausgrenzung verstärken (John Gilliom), aber zumindest auch sichtbar machen kann (Nathan Harris, Jennifer Wood). Auch für diejenigen, denen Foucault nicht als Richtschnur gilt, ein fundierter und empirisch satter Band.
Tsoukala, Anastassia: Football Hooliganism in Europe. Security and Civil Liberties in the Balance, Houndmills, Basingstoke (Palgrave Macmillan) 2010, 179 S., EUR 48,–
Bach, Stefanie: Die Zusammenarbeit von privaten Sicherheitsunternehmen, Polizei und Ordnungsbehörden im Rahmen einer neuen Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland. Beobachtungen und Analysen im Zusammenhang mit der FIFA WM 2006, Holzkirchen/Obb. (Felix Verlag) 2008, 237 S., EUR 39,–
Tsoukala, Professorin für Kriminologie in Paris, zeichnet in ihrer Arbeit die Geschichte der Kriminalisierung so genannter ‚Hooligans‘ und deren (nachträgliche) Legalisierung durch national- und europarechtliche Regulierungen nach. Sie kann zeigen, dass und wie es seit Mitte der 80er Jahre im Zuge der Kommerzialisierung des europäischen Fußballs zur Erfindung ‚des Anderen‘ gekommen ist: des ‚Hooligan‘. Das Drama im Heysel-Stadion „merely accelarated a change that was already underway“ (S. 26). Zwischen Mitte der 80er Jahre und 1997 setzt sich diese Linie durch, und auch die Polizeistrategien vereinheitlichen sich auf europäischer Ebene. Seitdem „combating football hooliganism was no longer simply an area into which policing methods were being imported from other domains, but had now become a method for testing and importing new internal security methods“ (S. 118). Über die Figur des ‚Hooligan‘, wie Tsoukala u.a. anhand der Etablierung von Videosystemen, Reisebeschränkungen und Stadionverboten nachweist, „the breaching of civil liberties has become invisible to society because legal abnormality is now accepted as normal“ (S. 134).
Einen anderen Fokus wählt Bach in ihrer Dissertation und konzentriert sich auf die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Aus dem reichhaltigen Material – allein 21 Vertreter des kommerziellen Wach- und Sicherheitsgewerbes wurden interviewt – sollen lediglich drei Aspekte hervorgehoben werden: Erstens ist beeindruckend, wie sehr die interviewten Geschäftsführer von Sicherheitsunternehmen ihre Beschäftigten offensichtlich für ‚Vollidioten‘ halten (S. 54); zweitens kann Bach zeigen, wie die vielgerühmten Volunteers – immerhin 12.000 freiwillige, nicht entlohnte Helfer – in die Sicherheitsstrukturen unter dem Kommando kommerzieller Sicherheitsdienste in die Kontrollstrategien während der FIFA Weltmeisterschaft eingebunden wurden (S. 153 ff.); drittens, und zu dieser Schlussfolgerung sind die politisch Verantwortlichen für den Einsatz kommerzieller Sicherheitsdienste selbst nach dem Desaster der ‚Love Parade‘ im Juli 2010 mit 21 Toten bisher nicht gelangt, betont Bach mit Blick auf die Fußball-WM, „kann nur ein einziges Fazit gezogen werden: die Gewerbeaufsicht im Bereich des Sicherheits- und Bewachungsgewerbes muss intensiver und effektiver ausgeübt werden“ (S. 206). Die Arbeit ist an manchen Stellen ungenau und vermischt Planungen der FIFA mit der tatsächlichen Umsetzung von Maßnahmen (etwa beim Einsatz von RFID), aber sie setzt gleichwohl Maßstäbe für ‚events to come‘.
(alle: Volker Eick)