von Stephan Stolle
Seit 1989 nehmen deutsche PolizistInnen an internationalen Missionen teil – neuerdings auch unter dem Dach der EU.
5.000 PolizistInnen will die EU für „Krisenbewältigungsoperationen“ im Ausland einsetzen können. Das potenzielle deutsche Kontingent sind 910 BeamtInnen, davon 10 Prozent Führungskräfte. Praktisch sind jährlich 350-400 deutsche PolizistInnen im Auslandseinsatz, erklärt Tom Litges vom Polizeiinstitut „Carl Severing“ in Essen, eine von drei Polizeischulen, die BeamtInnen auf solche Missionen vorbereiten.
Die Teilnahme an derartigen Einsätzen ist freiwillig. Interessierte müssen mindestens zehn Jahre im Dienst, mindestens 27 Jahre alt und BeamtIn auf Lebenszeit sein. Sie durchlaufen zunächst ein „Assessment-Center“, bei dem es vor allem auf ihre Englisch-Kenntnisse ankommt. Danach folgt ein Basistraining – ausschließlich auf Englisch: in der ersten Woche Theorie, Verhaltenstraining und Rollenspiele, in der zweiten eine Simulationsübung, die ein realistisches Bild vermitteln soll. Kurz vor der Abreise folgt eine Woche missionsspezifisches Training. Ziel: Einstimmung und Information über die aktuelle Lage im Einsatzgebiet. Der Einsatz dauert bis zu einem Jahr, kann aber jederzeit abgebrochen werden. Während dieser Zeit stehen den BeamtInnen ständig BetreuerInnen zur Verfügung; wieder zu Hause erfolgt eine Nachbereitung.
Dass es bei diesen Einsätzen enge Verbindung von PolizistInnen zum Militär und zu Soldaten gibt, hält Litges für „normal“. Die Bundeswehr habe einfach „eine große Logistik“ – von der Post bis hin zum eigenen Hospital. Kontakt gebe es sowohl auf der dienstlichen als auch auf der privaten Ebene. Im Kosovo hätten zudem Feldjäger mit der Wiederherstellung von Recht und Ordnung begonnen. Zivile und MilitärpolizistInnen seien in Prizren immer noch im selben Gebäude untergebracht und nähmen oft die gleichen Aufgaben – z.B. Straßenkontrollen – wahr.
WEU-Mostar | 1994 – 1996 | Mostar | Multinationaler, bewaffneter Polizeieinsatz während der WEU-Administration von Hans Koschnick
Ziel: Aufbau einer lokalen multi-ethnischen Polizeiorganisation. Unterbindung krimineller Aktivitäten |
212 Polizeibeamte des Bundes und der Länder |
MINURSO | 1993 – 1997 | West-Sahara | Überwachung der örtlichen Polizei, Mitwirkung bei der Registrierung der Wahlberechtigten. Schutz der UN-Wahl- und Registrierungskommission | Kontingent: zunächst 10, später 2 Beamte des BGS |
WEU / DANJUG | 1993 | Donau | Embargo-Einsatz auf der Donau, Durchsetzung des Embargos gegen Serbien.
Auftrag: Abfangen von Schiffen mit einem stark motorisierten Schlepper, Betreten und Anhalten auch „gegen den Willen der Besatzung.“ Ausrüstung: 4 Boote, Pistolen zur Eigensicherung. Die gewaltsame Durchsetzung des Embargos war nicht zu realisieren. |
42 Beamte des BGS und 29 Beamte des Zolls |
UNTAC | 1992 – 1996 | Kambodscha | Der Machtwechsel in Kambodscha (Sturz der kommunistischen Regierung) führte zu einer allgem. Destabilisierung mit humanitären Notlagen der Bevölkerung. Aufgabe: Ausbildung und Überwachung der örtlichen Polizei, Schutz für die UN-Wahlkommissionen, Überwachung der Wahlen. | 106 Beamte des BGS |
UNTAG | 1989 – 1990 | Namibia | Überwachung und Sicherstellung des Übergangs in die Unabhängigkeit; Überwachung der ersten freien Wahlen | 50 Beamte des BGS |
OSZE / KVM | 1998 / 1999 | Kosovo | Multinationale unbewaffnete Beobachter- und Verifikationsmission im Kosovo. Aufgaben: Konzepte gegen kriminelle Übergriffe auf die Zivilbevölkerung. Überwachung der kriegerischen Handlungen und der Übergriffe auf die Zivilbevölkerung. | 15 Polizeibeamte des Bundes und der Länder |
OSZE / PMG | 1997 – 2001 | Ost-Slawonien | Multinationale unbewaffnete und zivile Mission mit Polizeibeteiligung in Kroatien und Ost-Slawonien. Aufbau einer multi-ethnischen Verwaltung. Überwachung von Menschenrechtsverletzungen zwischen den Ethnien. | 30 Polizeibeamte des Bundes und der Länder |
WEU / MAPE | 1997– 2001 | Albanien | Multinationaler bewaffneter Polizeieinsatz in Albanien. Ziel: Rechtsstaatliche Ausbildung der lokalen Polizeiorganisation zur Unterbindung krimineller Aktivitäten.
Bewaffnung nur zur Eigensicherung; keine |
87 Polizeibeamte des Bundes und der Länder |
UNMIBH | 1996 – 2002 | Bosnien-Herzegowina | Multinationaler unbewaffneter UN Polizeieinsatz auf dem gesamten Territorium von Bosnien-Herzegowina. Ziele: Beobachtung, Beratung und Ausbildung der lokalen Polizei, Beratung und Aufbau einer multi-ethnischen Polizeiorganisation. | 1390 Polizeibeamte des Bundes und der Länder |
UNAMIR | 1995 | Ruanda | Hilfe bei der Reorganisation der Ruandischen Polizei; Beratung, Beobachtung und Ausbildungshilfe; Rheinland-Pfalz entsandte aufgrund seiner seit 1983 bestehenden „Grassroot-Partnerschaft“ Polizeibeamte. | 15 Polizeibeamte aus Rheinland-Pfalz |
EUPM | 2003 – 2005 | Bosnien-Herzegowina | Nachfolge der UNMIBH; erste Polizeimission der EU im Rahmen des „Zivilen Krisenmanagements“ | 108 Polizeibeamte des Bundes und der Länder |
PGPAA | seit 2002 | Afghanistan | Bilaterale Vereinbarung zwischen Afghanistan und Deutschland:
Reform der Ausbildung und Organisation der afghanischen Polizei. Ausbildung in nahezu allen Bereichen polizeilicher Arbeit, insbesondere zur Drogenbekämpfung. Beratung der afghanischen Regierung |
37 Polizeibeamte des Bundes und der Länder |
UNMIK (BKA /IWCT) | ab 2000 | Kosovo | Mai 2000 Einsatz von Beamten des Bundes (BKA-Mitarbeiter des Identifizierungstrupps IDKO)Bereits im Januar 1999 – vor dem Krieg – waren Beamte des IDKO im Auftrag des Haager Tribunals mit der Auswertung von Massengrabfunden befasst. |
Gesamt: 30 Beamte
Kontingent: 9 Beamte (allg. Kriminaldienst und IDKO) |
UNMIK | seit 1999 | Kosovo | Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung; Gründung, Ausbildung, Beratung und Überwachung einer lokalen Polizei, Ausübung exekutiver Befugnisse, Wahrnehmung grenzpolizeilicher Aufgaben zusammen mit lokaler Grenzpolizei. Schutz und Förderung von Menschenrechten, Unterstützung der Aufgabenwahrnehmung des Internationalen Gerichtshofs für Ex-Jugoslawien | 1.552 Polizeibeamte des Bundes und der Länder
Stand: 10.7.2003 |
OSZE / UNTAES | 1998 – 2002 | Kroatien | Hilfestellung bei der Umsetzung von Menschen- und Minderheitenrechten; Überwachung des demokratischen Prozesses; Monitoring der lokalen Polizeikräfte im Hinblick auf die Einhaltung der Rechte zurückkehrender Flüchtlinge. | 20 Polizeibeamte des Bundes und der Länder |
Zusammengestellt u.a. aufgrund der Angaben von Dieter Lewerenz und Martin Kaphengst (beide BMI Ref. BGS II 1, Gst. AG IPTF) sowie von Tom Litges (Polizeifortbildungsinstitut „Carl Severing“, Münster), siehe: http://www.police-mission.de
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