von Otto Diederichs
Elf Menschen starben im vergangenen Jahr aufgrund polizeilichen Schusswaffeneinsatzes. Das sind fünf Tote weniger als 2017.
2017 hatte die Zahl der polizeilichen Todesschüsse mit 16 Fällen den höchsten Stand seit 1999 erreicht.[1] Für 2018 zeigt die Schusswaffengebrauchsstatistik der Deutschen Hochschule für Polizei (DHPol) nicht nur bei den Todesschüssen einen niedrigeren Wert. Zurückgegangen ist auch die Zahl der Verletzten (2018: 34; 2017: 39) sowie die Gesamtzahl der Schüsse auf Menschen: Insgesamt 54 Mal haben Polizeibeamt*innen 2018 auf Personen geschossen (2017: 75 Mal), wobei zwei Schüsse als unzulässig eingestuft wurden. 23 Mal wurde auf „Sachen“ geschossen, womit in der Regel Fahrzeuge gemeint sind; von diesen indirekten Schüssen auf Menschen wurden offiziell sieben als unzulässig eingestuft. Die Höchstzahl der abgegebenen Schüsse galt mit 13.711 (2017: 13.400) wie stets dem Töten gefährlicher, kranker oder verletzter Tiere.[2]
Soweit zunächst die Bilanz der DHPol, die im Auftrag der Innenministerkonferenz die jährliche Schusswaffengebrauchsstatistik zusammenstellt. Hierzu sind die Länder angehalten, ihre Zahlen bis zum Ende des ersten Quartals des Folgejahres an die DHPol zu melden. Eine Praxis, die bereits seit Jahren nicht mehr eingehalten wird: Als diese Zeitschrift Ende Mai bei der DHPol nach der neuen Statistik fragte, hatte man dort immer noch nicht sämtliche Angaben der Länder erhalten. Erscheinen konnte die Schusswaffengebrauchsstatistik erst im Juli.
Berliner Zahlen
Durch die Schriftliche Anfrage von Anne Helm (Linksfraktion) im Berliner Abgeordnetenhaus gibt es erstmals seit zwei Jahren auch wieder Zahlen zum polizeilichen Schusswaffengebrauch in der Hauptstadt.[3] Demnach sei es dort 2017 in keinem Fall und 2018 in drei Fällen zu beabsichtigten Schüssen auf Menschen gekommen. 2018 seien dabei vier Personen verletzt worden. 2017 habe es einen Toten gegeben, wobei es sich aber um einen Suizid handelte.
Seltsam ist indes der Umgang der Berliner Polizei bzw. des Innensenats mit den „offenen Vorgängen“, von denen es zum Zeitpunkt der Antwort auf die Anfrage, also im Mai 2019, noch acht aus dem Jahr 2017 und sechs von 2018 gab. Diese „offenen Vorgänge“ würden „erst nach Vorliegen des abschließenden Berichtes in Kategorien untergliedert in der Statistik dargestellt. Dies ist der Grund dafür, dass die Zahlen der Schusswaffengebrauchsstatistik Veränderungen unterliegen – bis zum Abschluss des letzten Vorgangs aus dem jeweiligen Jahr“. Das heißt aber auch, dass die in der Antwort genannten Zahlen über Verletzte und Getötete vorläufig – oder besser gesagt: falsch – sind: Zusätzlich zu dem oben genannten Suizid gab es 2017 einen tödlichen Schusswaffeneinsatz, der jedoch in der Statistik fehlt.[4] Nachgemeldet wurde inzwischen ein tödlicher Schusswaffeneinsatz aus dem Jahre 2016, den der Senat in seiner Antwort auf die Anfrage der Linken im Februar 2017 wegen des fehlenden Abschlussberichts nicht mitgezählt hatte.[5] Drei „Vorgänge“ von 2016 sind immer noch „offen“ – darunter auch der zweite Berliner Todesschuss aus jenem Jahr.[6]
Merkwürdig ist auch die in der Antwort genannte recht hohe Zahl der unbeabsichtigten Schussabgaben, von denen es 2017 zwölf und 2018 ganze 16 Fälle gegeben haben soll. Dabei wurden 2017 zwei Personen (eine „Polizeidienstkraft“ und eine „externe Person“) verletzt und 2018 eine Person (eine „Polizeidienstkraft“). Erstaunlich ist diese hohe Zahl unbeabsichtigter Schüsse insbesondere, weil die DHPol-Statistik für 2018 bundesweit lediglich elf Fälle ausweist.
Polizeilicher Problemfall: Psychisch erkrankte Personen
Bereits 2016 hat Bürgerrechte & Polizei/CILIP bei den polizeilichen Schusswaffenopfern auf eine wachsende Zahl von psychisch Erkrankten oder Menschen in einem psychischen Ausnahmezustand hingewiesen.[7] Soweit anhand der ausgewerteten Presseberichte erkennbar, traf dies auch bei vier der im Jahre 2018 getöteten Personen zu (siehe Tabelle).
Laut Bundesarbeitsministerium hat sich die Zahl der Krankentage wegen psychischer Probleme seit 2007 mehr als verdoppelt und liegt heute bei 107 Millionen.[8] Natürlich wird nicht jede*r psychisch Kranke gleich zu einem Fall für die Polizei. Was eine wachsende Zahl psychisch Erkrankter dennoch für die polizeiliche Praxis bedeuten kann, hat Celia Sommer, die seit 2017 beim Psychologischen Dienst der Berliner Polizei tätig ist, bei einem „Werkstattgespräch“ der Forschungsstelle Öffentliche und Private Sicherheit (FÖPS) dargestellt: Bundesweit komme es bei rund einem Viertel bis einem Drittel aller polizeilichen Einsätze zu Kontakten mit psychisch Erkrankten, gewaltsame Eskalationen seien dabei keine Seltenheit. Schätzungen zufolge wurden dabei von 2007 bis 2011 mindestens 16 Menschen erschossen.[9]
Inzwischen ist das Problem auch bei der Polizei angekommen. Laut der Antwort auf die zitierte Anfrage der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus bietet die Fachgruppe Verhaltenstraining bei der Berliner Polizei viertägige Seminare zum „Umgang mit Menschen mit psychischen Störungen im Spannungsfeld zwischen Kommunikation und Zwangsmaßnahmen“ für bis zu 140 Teilnehmende an. Allerdings ist die Teilnahme freiwillig.[10] Zudem beteiligt sich die Berliner Polizei an einem von der EU geförderten dreijährigen Forschungsprojekt, das den Einfluss menschlicher Faktoren wie etwa Stress auf das Schießverhalten untersuchen soll.[11] Ein Anfang scheint also gemacht.