von Marie-Theres Piening, Marius Kühne und Eric Töpfer
Sechs Bundesländer haben in den letzten Jahren an die Parlamente angegliederte Polizeibeauftragte geschaffen. Weitere Länder und der Bund planen dies. Ausgestaltung und Praxis der Stellen unterscheiden sich erheblich. Von den geforderten unabhängigen Ermittlungsstellen sind sie jedoch weit entfernt.
Seit nunmehr acht Jahren ist in Deutschland auf Länderebene ein Trend zur Einrichtung von Beauftragten der Parlamente für die Landespolizeien zu beobachten. Diese sind sowohl Ombudsstellen für Beschwerden gegen die Polizei als auch – dies im Vergleich zu Polizeibeschwerdestellen im Ausland eine deutsche Besonderheit – für Eingaben von Polizist*innen zuständig.[1] In Rheinland-Pfalz (RP) wurde 2014 das bereits seit 1974 existierende Amt der Bürger*innenbeauftragten um die Funktion einer Beauftragten für die Landespolizei ergänzt. Damit soll die Beauftragte, aktuell die ehemalige SPD-Abgeordnete Barbara Schleicher-Rothmund, nicht länger nur die Stellung der Bürger*innen im Verkehr mit der Landesverwaltung stärken, sondern hat zugleich eine besondere Zuständigkeit in Sachen Landespolizei. Zudem fungiert sie als Ombudsperson für Kinder und Jugendliche. Im Jahr 2016 folgte der Landtag von Schleswig-Holstein (SH). Dort bekam Samiah El Samadoni, zuvor Juristin in der Landesverwaltung, zu ihren Aufgaben als Bürger*innenbeauftragte für soziale Angelegenheiten, Antidiskriminierungsstelle des Landes und Beschwerdestelle für Kinder und Jugendliche zusätzlich das Mandat der Beauftragten für die Landespolizei. In Baden-Württemberg (BW) wurde das Amt 2016 hingegen gänzlich neu eingerichtet. Zwar trägt die dortige Bürger*innenbeauftragte den Titel Landespolizeibeauftragte nicht im Namen – Amtsinhaberin ist Beate Böhlen, bis 2019 Abgeordnete der Grünen und Vorsitzende des Petitionsausschusses –, hat neben ihrer Funktion als Ombudsperson für Konflikte mit der Landesverwaltung ebenfalls eine Sonderzuständigkeit für die Landespolizei.[2]
Ein zweiter Entwicklungsschub folgte ab 2020: In diesem Jahr wurden sowohl in den Stadtstaaten Bremen und Berlin (BE) als auch in Hessen (HE) entsprechende Gesetze verabschiedet. 2022 wurden in Bremen dann die Verwaltungsjuristin Sermin Riedel, die zuvor das Ordnungs- und dann das Migrationsamt geleitet hatte, zur Beauftragten für die Polizei und Feuerwehr und in Berlin der ehemalige Verwaltungsrichter Alexander Oerke zum Bürger*innen- und Polizeibeauftragten gewählt. In Hessen gilt für die Stelle ebenfalls eine Personalunion von Bürger*innen- und Landespolizeibeauftragte*r. Zwischenzeitlich sollte der Polizeiforscher Rafael Behr dort das Amt übernehmen, sagte jedoch aus gesundheitlichen Gründen wieder ab; die Stelle ist weiterhin vakant. In Brandenburg wird derzeit ein Gesetzesentwurf diskutiert,[3] und auch in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen planen die neue schwarz-grüne bzw. rot-grüne Landesregierung die Einrichtung eines parlamentarischen Polizeibeauftragten.[4] Auch auf Bundesebene hat sich die Ampel-Koalition auf die Einrichtung einer solchen Beauftragtenstelle für die Polizeien des Bundes geeinigt.[5]
Die – mit Ausnahme Bremens – übliche Personalunion von Bürger- und Polizeibeauftragten ist zugleich eine weitere deutsche Besonderheit: So sind die Beauftragten nicht nur für den strukturell herausfordernden Bereich Polizei zuständig, sondern dieser ist nur einer unter vielen. Der deutsche Sonderweg zeichnet sich also nicht nur durch eine doppelte Zuständigkeit aus, für Anliegen aus Bevölkerung und Polizei, sondern auch durch eine Allzuständigkeit für Anliegen die gesamte Landesverwaltung, Diskriminierung oder auch soziale Angelegenheiten betreffend.
Abzugrenzen sind die parlamentarischen Polizeibeauftragten von zentralen Polizeibeschwerdestellen der Landesinnenministerien. Derartige Stellen existieren in Sachsen-Anhalt (seit 2009),[6] Niedersachsen (seit 2014) und Thüringen (seit 2016). Sie sind organisatorisch von den Polizeiabteilungen getrennt und lediglich der Aufsicht der jeweiligen Amtsleitung der Innenministerien unterstellt. In Sachsen wurde eine solche Stelle 2016 im Innenministerium angesiedelt, bevor sie 2019 in der Staatskanzlei überführt wurde.[7] Während die Stellen in Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Sachsen sowohl für Bürger*innen als auch Polizei ansprechbar sind, gilt dies nicht für die Polizeivertrauensstelle in Thüringen, an die sich nur Bürger*innen wenden dürfen.[8] All diese exekutiven Beschwerdestellen bearbeiten Eingaben weisungsfrei. Institutionell bleiben sie jedoch Teil der Exekutive. In den übrigen Bundesländern besteht lediglich die Möglichkeit, sich bei den jeweils zuständigen Polizeibehörden über polizeiliches Fehlverhalten zu beschweren oder die Petitionsausschüsse der Landesparlamente anzurufen.
Vermittlung statt Ermittlung
Gemeinsam ist allen Polizeibeauftragten, dass sie, ähnlich wie die Wehrbeauftragte des Bundestages, als Hilfsorgane der Parlamente bei der Ausübung der Kontrolle der Polizei konzipiert sind.[9] Sie werden mit parlamentarischer Mehrheit gewählt und sind den Parlamenten gegenüber jährlich (in Bremen nur alle zwei Jahre) und (außer in Schleswig-Holstein) zu besonderen Vorgängen auch unverzüglich berichtspflichtig. Eine Wiederwahl ist möglich. Laut Gesetz haben sie die Aufgabe, das „partnerschaftliche Verhältnis“ von Bürger*innen – nur in Bremen ist inklusiver von der „Bevölkerung“ die Rede – und Polizei zu stärken und erstere im „Dialog“ mit letzterer zu unterstützen. Dafür sollen sie Beschwerden über polizeiliches Fehlverhalten oder rechtswidrige Maßnahmen untersuchen und in begründeten Fällen Abhilfe schaffen. Dabei haben sie grundsätzlich auf eine einvernehmliche Erledigung hinzuwirken. D. h. die Stellen haben eine Mediationsfunktion. Nicht zuständig sind sie für die Ermittlung und Verfolgung von Straftaten oder Disziplinarvergehen, die durch Polizeibeamt*innen begangen wurden. Vielmehr legen die einschlägigen Gesetze überwiegend fest, dass die Untersuchung einer Beschwerde pausieren muss, wenn zugleich Strafermittlungs- oder Disziplinarverfahren laufen.[10] In Schleswig-Holstein kann der*die Beauftragte das Beschwerdeverfahren in Ausnahmefällen parallel weiterführen, in Berlin und Bremen soll dies die Regel seien, wenn dem nicht praktische Gründe entgegenstehen.[11] Alle Polizeibeauftragten haben ein Selbstaufgriffs- bzw. Initiativrecht, um Probleme unter die Lupe zu nehmen, die vertraulich an sie herangetragen wurden oder über die Medien berichtet haben.
Institutionelle und praktische (Un)abhängigkeit
Die Polizeibeauftragten sollen ihre Aufgaben unabhängig, weisungsfrei und nur dem Gesetz unterworfen erfüllen. Daher sind sie ausdrücklich keine Berufsbeamt*innen, sondern stehen in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis oder sind, so in Schleswig-Holstein, lediglich Beamt*in auf Zeit. Amtszeiten (bei möglicher Wiederwahl) zwischen fünf (Bremen) und acht Jahren (Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg) sollen dafür sorgen, dass die Amtsführung von den Wahlperioden der Landesparlamente entkoppelt ist. Zur Erfüllung ihrer Aufgabe sollen sie mit „hinreichenden“ oder „notwendigen“ Personal- und Sachmitteln ausgestattet werden;[12] und sie haben weitgehende Hoheit über die Auswahl und Führung ihres Personals. Eine Abwahl der Beauftragten ist i.d.R nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit des Landtages möglich; in Bremen kann der Vorstand der Bürger*innenschaft eine Amtsenthebung veranlassen, wenn vergleichbare Gründe vorliegen wie für die Entlassung von Richter*innen. In Berlin und Schleswig-Holstein unterstehen die Beauftragten der Dienstaufsicht des*der Parlamentspräsident*in, allerdings „nur soweit ihre Unabhängigkeit dadurch nicht beeinträchtigt wird“. Mit Ausnahme Bremens entscheiden die Parlamentspräsident*innen über die Genehmigung von gerichtlichen oder außergerichtlichen Aussagen , was unter Umständen für den Schutz von Hinweisgeber*innen, die sich an die Beauftragten wenden, problematisch sein könnte. In Bremen gilt eine weitere Besonderheit: Dort kann die Bürger*innenschaft „Aufträge zur Untersuchung von Strukturen, Entwicklungen und Einzelfällen in ihrem Aufgabenbereich erteilen“, jedoch dürfen eigenmächtige Tätigkeiten der Beauftragtenstelle dadurch nicht blockiert werden.[13]
Die gesetzlichen Befugnisse, die die Polizeibeauftragten zur Erfüllung ihrer Aufgaben haben, unterscheiden sich deutlich: In Schleswig-Holstein, Bremen und Berlin haben die Beauftragten umfassende Untersuchungsbefugnisse; sie dürfen Auskünfte vom Innenministerium und Polizeidienststellen einholen, Akten und Dateien einsehen, Dienststellen betreten sowie Petent*innen, Zeug*innen und Sachverständige anhören. Die Amtskolleg*innen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen müssen sich zur Aufklärung eines Sachverhaltes auf die Auskünfte der Innenministerien verlassen. Damit bleiben in den drei letztgenannten Ländern die Befugnisse der Beauftragten in Polizeiangelegenheit noch hinter ihren Befugnissen als Bürger*innenbeauftragte zurück und ihre praktische Arbeit regelmäßig abhängig von der Exekutive. In Schleswig-Holstein und Bremen können die Beauftragten hingegen sogar in Abstimmung mit der Einsatzleitung polizeiliche Großeinsätze beobachten, in Bremen auch Aus- und Fortbildungsmaßnahmen.[14]
Personell arbeiten die Polizeibeauftragten mit kleinem Stab: So arbeiten z. B. für die schleswig-holsteinische Polizeibeauftragte eine Sachbearbeiterin in Vollzeit, zwei Referent*innen in Teilzeit.[15] In Baden-Württemberg bearbeitet die Bürger*innenbeauftragte sämtliche Eingaben in ihrem Zuständigkeitsbereich mit nur drei Sachbearbeiter*innen und einem unabhängigen Berater für Polizeiangelegenheiten.[16]
Beschwerderechte in Theorie und Praxis
Grundsätzlich kann sich jede*r an die Polizeibeauftragten wenden, um polizeiliches Fehlverhalten auch unterhalb der Schwelle zur Justiziabilität oder die Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Maßnahme zu beanstanden. Es braucht keine persönliche Betroffenheit, und in Bremen und Schleswig-Holstein ist es ausdrücklich auch juristischen Personen, also etwa Bürgerrechtsorganisationen oder anderen Verbänden, erlaubt, Beschwerden vorzubringen und so z. B. stellvertretend für Betroffene aktiv zu werden. Bei allen Stellen können Beschwerden in schriftlicher oder mündlicher Form vorgebracht werden. Grundsätzlich müssen Beschwerden auf Wunsch vertraulich behandelt werden; und in Schleswig-Holstein, Bremen und Berlin sind selbst anonyme Hinweise zulässig, wenngleich es dann den Beauftragten überlassen bleibt zu entscheiden, ob sie eine Bearbeitung für geboten halten. Deutlich unterscheiden sich auch die Fristenregelungen: Während in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen die bemängelte Situation nur drei Monate zurückliegen darf, sind es in Berlin sechs und in Schleswig-Holstein zwölf Monate, in Bremen sogar bis zu drei Jahre.
Tätig werden müssen die Beauftragten, „wenn bei verständiger Würdigung des Vorbringens eine nicht unerhebliche Rechtsverletzung oder ein nicht unerhebliches innerdienstliches Fehlverhalten zumindest möglich erscheint“.[17] Im Anschluss an den Versuch, einen Sachverhalt aufzuklären, können die Beauftragten im Rahmen ihrer Mediationsfunktion Empfehlungen aussprechen oder der zuständigen Dienststelle Gelegenheit zur Abhilfe geben. Halten sie polizeiliche Maßnahmen für rechtswidrig oder stellen innerdienstliches Fehlverhalten fest, sollen sie dies in bedeutenden Fällen dem Innenministerium mitteilen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Mit Einwilligung der Petent*innen können schwere Fällen auch an die Staatsanwaltschaft oder Disziplinaraufsicht weitergegeben werden. In jedem Fall sind die Petent*innen über den Abschluss des Verfahrens zu informieren. Widerspruch gegen die Entscheidung ist nicht möglich. Dies gilt auch für die Eingaben von Angehörigen der Polizei zu Vorgängen aus dem innerpolizeilichen Bereich.
Im Gesamtvolumen der Arbeit der Bürger*innen- und Polizeibeauftragten machen die polizeibezogenen Fälle nur einen geringen Anteil aus: So bearbeitete die Bürger*innenbeauftragte in Baden-Württemberg im Jahr 2021 insgesamt 761 Angelegenheiten, davon 106 mit polizeilichem Bezug (99 Beschwerden von Bürger*innen, 7 Eingaben aus der Polizei).[18] In Rheinland-Pfalz waren es im Jahr 2021 insgesamt 2060 Fälle, davon 215 mit polizeilichem Bezug.[19] Durchschnittlich bearbeiten die Stellen in ihrer Funktion als Polizeibeauftragte zwischen 90 (Baden-Württemberg) und 225 (Schleswig-Holstein) Vorgänge pro Jahr.
Dabei ist das Aufkommen an Beschwerden gegen die Polizei in den Jahren sukzessive angestiegen. So berichtete der Beauftragte in Rheinland-Pfalz, zuvor bereits als Bürger*innenbeauftragter für Polizeiangelegenheiten zuständig, in seinem ersten Tätigkeitsbericht 2014/15, dass sich mit der neuen Funktion die Zahl der Beschwerden gegen die Polizei von zuvor jährlich weniger als 20 auf 54 Beschwerden mehr als verdoppelte.[20] Bis 2019/20 stieg diese Zahl auf 94.[21] Auch in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein verdoppelte sich zwischen 2016 und 2019 das Beschwerdeaufkommen und lag in beiden Ländern vor Beginn der Pandemie im hohen zweistelligen Bereich. Mit der Pandemie stieg die Zahl der Beschwerden im Jahr 2020 noch einmal deutlich an, scheint mit dem Ende der Lockdowns, so legt zumindest der Bericht für 2021 aus Stuttgart nahe, aber wieder zurückgegangen zu sein.[22]
Keine klare Entwicklungstendenz, aber erhebliche Unterschiede zwischen den Stellen zeigen sich bei den Eingaben durch Polizist*innen: Machen diese in Rheinland-Pfalz etwa ein Viertel (195 von 762) der gesamten seit 2014/15 bearbeiteten Vorgänge mit Polizeibezug aus,[23] waren es in Baden-Württemberg seit 2017 nicht einmal ein Zehntel (41 von 457). In Schleswig-Holstein hingegen kamen sogar zwei Drittel (595 von 900) der seit 2016/17 bearbeiteten Vorgänge aus der Polizei, was auch der Tatsache geschuldet sein mag, dass die zuständige Mitarbeiterin der Beauftragten zuvor beim Landeskriminalamt tätig war und daher das Vertrauen der ehemaligen Kolleg*innen genießen dürfte.
Rassismus als Thema?
Die Anlässe für Beschwerden gegen die Polizei sind vielfältig. Es geht z. B. um Verkehrskontrollen, Unmut über als unzureichend empfundene Reaktionen auf Anzeigen wegen Ruhestörung, um verwaiste Polizeiwachen, Einsätze bei Fußballspielen oder gegen Jugendliche, Kostenbescheide wegen Fehlalarmen, Wohnungsdurchsuchungen oder den Wunsch, dass (noch) härter gegen antifaschistischen Protest vorgegangen wird. Am häufigsten werden das Kommunikationsverhalten von Polizei-beamt*innen und die mutmaßliche Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen bemängelt. In Anschluss daran verwundert es nicht, wenn jenseits der schriftlichen Bearbeitung ein häufig gewählter Konfliktlösungsweg die Vermittlung und Begleitung von Gesprächen ist, teilweise verbunden mit einer Entschuldigung durch die Polizei. Grundsätzlich wird dabei vor allem die Bedeutung von Transparenz während des Polizeieinsatzes betont, die oftmals jedoch erst im Nachgang und ausgelöst durch eine Beschwerde sowie vermittelt über die Landespolizeibeauftragte hergestellt wird.
Eher selten scheint es in Beschwerden um Rassismus oder Polizeigewalt zu gehen. So sah sich die rheinland-pfälzische Beauftragte in ihrem Jahresbericht 2019/20 vor dem Hintergrund der „Black Lives Matter“-Proteste veranlasst, darauf hinzuweisen, dass im Berichtszeitraum kein Vorwurf wegen Racial Profiling und nur eine als unberechtigt gewertete Beschwerde wegen Rassismus an sie herangetragen wurde. Ein strukturelles Rassismus-Problem sei für sie daher nicht erkennbar, exkulpiert sie die Polizei gleich in der Einleitung zum Bericht.[24] In diesem Zusammenhang lobt sie die „umfassenden Konsequenzen“, welche die Landespolizei aus den Ergebnissen der 1994 von der Innenministerkonferenz beauftragten Studie zu „Fremdenfeindlichkeit“ in der Polizei gezogen habe, die damals zum Ergebnis kam, dass lediglich Frust und Dauerbelastung das Problem seien, aber keinesfalls ein systematisches Muster existiere: „Sind unsere Polizeibeamtinnen und -beamte auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft? Diese Frage muss mit einem eindeutigen Nein beantwortet werden. Wenn Extremismusforscher bei einem Anteil von ca. 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung ein rechtextremistisches Weltbild schätzen, dann darf dies nicht auf die Polizei zutreffen, in der Menschen arbeiten, die über eine hochwertige und anspruchsvolle Ausbildung verfügen.“[25] Ihrem Wunschbild von Polizei entsprechend, wird die Beauftragte denn auch nicht müde, ihre Solidarität mit der Polizei zu bekräftigen: „Die Polizeibeamtinnen und -beamten verteidigen durch ihren täglichen Einsatz unsere Freiheit, schützen unser Leben und gewähren Hilfe. Dabei setzen sie oft ihre persönliche Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel. Dies verdient in hohem Maß gesellschaftliche Anerkennung und Solidarität.“[26] Dass Menschen, die von der Polizei rassistisch diskriminiert wurden, angesichts solcher Treueschwüre Vertrauen in die Unparteilichkeit der Polizeibeauftragten aufbringen würden und sich von dort Hilfe erhofften, ist zu bezweifeln.
Dass es auch anders geht, zeigt die Bürger*innenbeauftragte in Baden-Württemberg. Nachdem Beate Böhlen 2019 das Amt von ihrem Vorgänger, dem ehemaligen Polizeipräsidenten Volker Schindler, übernommen hatte, änderte sich der Ton der Stelle deutlich: „Wenn über Rassismus in der Polizei diskutiert oder strukturelle Diskriminierung in öffentlichen Verwaltungen nicht erkannt wird und die gefühlte Ohnmacht der Menschen sich Bahn bricht, dann braucht es eine neutrale Stelle, an die sich Betroffene vertrauensvoll wenden können“, heißt es dort einleitend im Jahresbericht 2019, obwohl im Berichtszeitraum nur eine Beschwerde wegen rassistischer Diskriminierung eingegangen war.[27] Knapp zwei Jahre später weist der Jahresbericht Verdachtsfälle von Racial Profiling und rassistischer Diskriminierung dann separat aus: von insgesamt 20 Fällen in 2020/21 hatten sich aus Sicht der Bürger*innenbeauftragten vier eindeutig und vier teilweise bestätigt; sieben konnten nicht aufgeklärt werden. Ausführlich wird ein Einzelfall geschildert, der von Jugendsozialarbeitern an die Stelle herangetragen wurde: Demnach wurden bei der Polizeikontrolle einer Gruppe Jugendlicher im Juli 2020 einem 14-jährigen Geflüchteten – sowie allen anderen PoCs in der Gruppe – plötzlich die Hosen bis zu den Knien runtergezogen. Die Bürger*innenbeauftragte kontaktiert die Landespolizeipräsidentin, die die Vorwürfe nach einem Monat bestreitet, aber ein Gespräch anbieten. Ein erneuter Anlauf der Beauftragten wird erst im Januar 2021 und in der Sache unverändert beantwortet. Enttäuscht sind nicht nur der Betroffene und seine Mutter, sondern auch die Beauftragte, die seine Schilderung für glaubwürdig hält und die Bearbeitung des Falls durch das zuständige Polizeipräsidium für unzureichend erklärt. Künftig wolle sie in vergleichbaren Fällen „noch eindringlicher“ auf eine Klärung hinwirken. Ob allerdings, die von ihr gewünschte, „unmittelbare Rückmeldung“ durch ein „klärendes Gespräch“ das Problem aus Sicht des Jugendlichen adäquat adressiert hätte, bleibt offen.[28] Mehr zu fordern, stand ihr ob ihrer gesetzlich festgelegten Moderationsrolle allerdings auch nicht zu. Abschließend notiert die Beauftragte: „Der Vorwurf ‚Rassismus, Machtmissbrauch und Diskriminierung bei der Polizei‘ ist nach wie vor präsent. Auch wenn sich die Vorwürfe nicht immer bestätigen oder wir sie als ungeklärt einstufen mussten, da Ermittlungen oder Gerichtsverfahren in Gang waren, wiegt schon allein der Verdachtsfall schwer.“[29]
Polizeigewalt und die Grenzen der Mediation
Die Grenzen einer Intervention durch die Polizeibeauftragten zeigen sich auch beim Umgang mit Vorwürfen wegen rechtswidriger polizeilicher Gewaltanwendung. Während entsprechende Verdachtsfälle in den Berichten der anderen Stellen nur in ausgewählten Einzelfällen geschildert und regelmäßig durch die eingeholten Stellungnahmen aus den Innenministerien abgewiegelt werden, weist die Polizeibeauftragte in Schleswig-Holstein „Polizeigewalt“ als eigene Kategorie von Beschwerdeanlässen aus: Demnach bezogen sich von 249 Beschwerden, die von Oktober 2016 bis September 2020 als zulässig bearbeitet wurden, neun auf Polizeigewalt.[30]
Exemplarisch zeigen sich die Probleme an einem Fall, bei dem ein Schwarzer Petent berichtete, dass er, nachdem er zuvor nach eigenen Angaben grundlos mit einem Freund aus einer Kneipe verwiesen worden war, vor dem Gebäude von mehreren Polizist*innen äußerst brutal festgenommen und trotz erheblicher Verletzungen ohne ärztliche Hilfe bis zum nächsten Morgen in Gewahrsam verbracht worden sei. Seine Anwältin erstattete schließlich Strafanzeige und schaltete die Polizeibeauftragte ein. Nachdem die Staatsanwaltschaft das Verfahren wie üblich mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt hatte, weil Videoaufzeichnungen der Kneipe sich angeblich nicht mit den Angaben des Petenten deckten, trat die Polizeibeauftragte erneut auf den Plan. Doch auch ihr wurde, wie schon zuvor der Anwältin des Petenten, mitgeteilt, dass die Videoaufzeichnungen nicht mehr einsehbar seien. In einem abschließenden persönlichen Gespräch mit der Beauftragten beharrte der Petent gleichwohl auf seiner Version der Ereignisse und wünschte sich eine Sanktionierung der Polizist*innen – ein Wunsch, so die Beauftragte, der nicht mit ihrem gesetzlichen Auftrag in Einklang zu bringen war, so dass das Verfahren ergebnislos abgeschlossen werden musste.[31]
Auch wenn die Beauftragte in diesem und anderen Fällen, in denen der Vorwurf rechtswidriger polizeilicher Gewaltanwendung im Raum stand, mitunter die Staatsanwaltschaft kontaktierte, Ermittlungsakten oder Einsatzberichte der Polizei anforderte, blieben ihre Vermittlungsversuche, in deren Ergebnis sich höchstens mal ein Vertreter der internen Ermittlungen zu einem Gespräch mit Petent*innen traf, für die Beschwerdeführer*innen meist unbefriedigend, da der Wunsch nach Sanktion nicht erfüllt werden konnte. Der Beauftragten wiederum blieb am Ende lediglich die Möglichkeit, die Fälle im Tätigkeitsbericht öffentlich zu machen und an die Polizei zu appellieren, den eigenen Anteil an Eskalationsdynamiken selbstkritisch zu reflektieren.
Polizeieingaben: Eigennutz oder Whistleblowing?
Dass die Polizeibeauftragten, anders als Polizeibeschwerdestellen in anderen Staaten, auch Eingaben aus der Polizei bearbeiten, die ohne Einhaltung des Dienstwegs an sie herangetragen werden können, ist, wie bereits erwähnt, ein deutsches Spezifikum. Grundsätzlich fallen alle „Vorgänge aus dem innerpolizeilichen Bereich“ in ihre Zuständigkeit, bei denen „eine nicht unerheblich Rechtsverletzung des Betroffenen oder ein nicht unerhebliches innerdienstliches Fehlverhalten“ möglich scheint.[32] Diese können „nicht nur dienstliche, sondern auch im dienstlichen Kontext stehende soziale oder persönliche Konfliktsituationen zum Gegenstand haben“.[33] In Bremen sind Hinweise und Beschwerden auch von Polizeiangehörigen auf „strukturelle Mängel oder Fehlentwicklungen“ bzw. „polizeiliches Fehlverhalten im Einzelfall“ beschränkt.[34]
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Beurteilungen, Versetzungen oder Beförderungen häufige Themen von Polizeieingaben sind. Angesichts der sehr unterschiedlichen Formate und Ausführlichkeit, in der die Polizeibeauftragtenstellen über die polizeiinternen Vorgänge berichten, lässt sich nicht wirklich ausmachen, ob und inwiefern die Eingaben zu Fragen der beruflichen Karriere auch Indikator für strukturelle Missstände sind. Auffällig ist jedoch, dass in Schleswig-Holstein, wo die Beauftragte zum überwiegenden Teil mit Eingaben aus der Polizei befasst war, die Mehrheit der Petent*innen aus Sorge vor einer dienstlichen Benachteiligung um vertrauliche Behandlung bat, lediglich Beratung in Anspruch nahm und Informationen an die Beauftragte weitergeben wollte. Insbesondere ging es dabei um die schleppende und intransparente Bearbeitung von Personalangelegenheiten durch das Landespolizeiamt (LPA) sowie Konflikte und Mobbing in Dienstgruppen oder mit ranghöheren Kolleg*innen, was in einigen Fällen sogar dazu führte, dass die Beauftragte von ihrem Initiativrecht Gebrauch machte, um – gegen erhebliche Widerstände – etwa Prozesse im LPA oder die Unterdrückung von Aussagen in der sog. „Rocker-Affäre“ unter die Lupe zu nehmen.[35]
Fazit
Das Modell der parlamentarischen Polizeibeauftragten ist auf dem Vormarsch. Eine ausführlichere empirische Untersuchung ihrer Arbeit steht jedoch aus. Die Analyse der bisherigen Tätigkeitsberichte zeigt die praktischen und rechtlichen Grenzen derartiger Beschwerdestellen auf. Die Beauftragtenstellen sind auf ein hohes Maß an Kooperation der Polizeidienststellen angewiesen, wenn sie Beschwerden gegen deren Bedienstete untersuchen. Zudem ist das rechtliche Mandat der Stellen explizit auf die Vermittlung zwischen Bevölkerung und Polizei, nicht jedoch auf tatsächliche Ermittlungen bei schwerwiegendem polizeilichen Fehlverhalten und dessen Sanktionierung ausgelegt. Gleichwohl unterscheidet sich etwa der Umgang mit Rassismusvorwürfen gegenüber der Polizei zwischen den ansonsten ähnlich strukturierten Stellen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz erheblich. Für die Zukunft des Modells parlamentarischer Polizeibeauftragter bleibt daher – jenseits aller struktureller Fragen – zu hoffen, dass die Positionen von engagierten Amtsinhaber*innen ausgefüllt werden, die ihre Aufgabe als parlamentarisches Hilfsorgan bei der Kontrolle der Polizei sowie das Anliegen ernstnehmen, Bürger*innen in ihrer Beschwerdemacht gegenüber dem Staatsapparat zu stärken.
[1] Daneben gibt es in Mecklenburg-Vorpommern seit 1995 und in Thüringen seit 2001 Bürger*innenbeauftragte. Obwohl diese die Rechte der Bürger*innen gegenüber der Landesverwaltung wahren sollen, waren Polizeibeschwerden für sie bislang kaum ein Thema. In Mecklenburg-Vorpommern wurde die Stelle 2021 um das Mandat eines Polizeibeauftragten erweitert. Da dies aber nur eine besondere Zuständigkeit für Eingaben aus dem Polizeiapparat begründet, werden die Stelle ebenso wie der Thüringer Bürger*innenbeauftragtehier nicht vertieft behandelt.
[2] §§ 1 und 15 BüBG BW
[3] LT Brandenburg Drs. 7/5013 v. 9.2.2022
[4] CDU; Bündnis 90/Die Grünen: Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2022, S. 83; SPD; Bündnis 90/Die Grünen: Sicherheit in Zeiten des Wandels, Niedersachsen zukunftsfest und solidarisch gestalten, Hannover 2022, S. 102
[5] SPD; Bündnis 90/Die Grünen; FDP: Mehr Fortschritt wagen. Koalitionsvertrag 2021-2025, Berlin 2021, S. 83
[6] ausweislich des aktuellen Koalitionsvertrages für Sachsen-Anhalt soll die Stelle in einen Polizeibeauftragten umgewandelt und beim Ministerpräsidenten angesiedelt werden. SPD; CDU; FDP: Wir gestalten Sachsen-Anhalt. Koalitionsvertrag 2021-2026, S. 105
[7] § 98 Abs. 1 S. 1 SächsPVDG
[8] Töpfer, E.: Unabhängige Polizeibeschwerden. Zum Stand der Dinge, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 116 (Juli 2018), S. 72-81 (75ff.)
[9] für ausführliche Nachweise der jeweiligen gesetzlichen Normen siehe Botta, J.: Unabhängige Polizeibeauftragte. Einfachgesetzliche Grundlagen, verfassungsrechtliche Bewertung und rechtspolitische Empfehlungen, in: JuristenZeitung 2022, H. 13, S. 664-672
[10] § 16 Abs. 2 BüBG BW; § 16 Abs. 2 BüPolBG HE; § 18 Abs. 2 BüPolBG RP
[11] § 12 Abs. 2 BüPolBG SH; § 17 BüPoBG BE; § 10 Abs. 2 BremPolBG
[12] § 18 Abs. 1 BremPolBG und z.B. § 12 Abs. 2 BüPolBG RP
[13] § 3 Abs. 1 BremPolBG
[14] § 16 Abs. 4 BüPolBG SH; § 7 Abs. 4 BremPolBG
[15] Beauftragte für die Landespolizei SH: Tätigkeitsbericht 2018-2020, Kiel 2021, S. 139
[16] www.buergerbeauftragte-bw.de/die-buergerbeauftragte/team-der-buergerbeauftragten
[17] § 22 Abs. BüPolBG RP; § 20 Abs. 1 BüBG BW; § 16 Abs. 1 BüPolG SH; § 16 Abs. 1 BüPolBG BE; § 20 Abs. 1 BüPolBG HE. In Bremen rekurriert § 6 Abs. 2 BremPolBG auf „plausible Informationen“.
[18] Die Bürgerbeauftragte BW: 4. Jahresbericht. 2020/2021, Stuttgart 2021, S. 58
[19] Die Beauftragte für die Landespolizei RP: Tätigkeitsbericht 2020/2021, Mainz 2021, S. 9
[20] Der Beauftragte für die Landespolizei RP: Tätigkeitsbericht 2014/2015, Mainz 2015, S. 45
[21] Die Beauftragte für die Landespolizei RP: Tätigkeitsbericht 2019/2020, Mainz 2020, S. 10
[22] In BW sank die Zahl der Beschwerden von 111 (2020) auf 99 (2021).
[23] Herausgerechnet sind dabei Petitionen, bei denen die Petent*innen eine abschließende Befassung durch den Petitionsausschuss des Landtags wünschen oder die nach Fristablauf bei der Polizeibeauftragten eingehen. Sie werden seit 2017 in den Jahresberichten zusätzlich zu den Beschwerden und Eingaben ausgewiesen.
[24] Die Beauftragte für die Landespolizei RP: Tätigkeitsbericht 2019/2020, Mainz 2020, S. 5
[25] ebd., S. 7
[26] ebd.
[27] Die Bürgerbeauftragte BW: 3. Jahresbericht. 2019, Stuttgart 2020, S. 5 und 48
[28] Die Bürgerbeauftragte BW: 4. Jahresbericht 2020/21, Stuttgart 2021, S. 52f.
[29] ebd., S. 46
[30] vgl. die Statistiken in: Die Beauftragte für die Landespolizei SH: Tätigkeitsbericht 2016-18, Kiel 2020, S. 108 und Tätigkeitsbericht 2018-20, Kiel 2021, S. 74
[31] ebd., S. 34f.
[32] z. B. § 16 Abs. 1 i.V.m. § 22 Abs. 1 BüPolBG RP
[33]siehe etwa die Gesetzesbegründung in Rheinland-Pfalz: LT RP Drs. 16/2739 v. 12.9.2013
[34] § 4 BremPolBGB
[35] siehe die Tätigkeitsberichte der Polizeibeauftragten SH: 2016-2018, S. 37ff. und 2019/2020, S. 29ff. und S. 95ff.
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