Zurück zum Fremden-Polizeirecht? Anti-Terror-Gesetzgebung im Zuwanderungsgesetz

von Marei Pelzer

Schon die Anti-Terrorpakete nach dem 11. September 2001 schränkten vor allem die Rechte hier lebender MigrantInnen und Flüchtlinge ein. Mit dem Zuwanderungsgesetz wurde der gesetzgeberische Aktionismus fortgesetzt.

Das Zuwanderungsgesetz, das am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, enthält massive sicherheitspolitische Verschärfungen.[1] Darauf hatte vor allem die CDU/CSU gedrängt, die ihren Einfluss aufgrund der Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes im Bundesrat geltend machen konnte. Die Ausprägung des „Ausländerrechts“ als Gefahrenabwehrrecht wurde nicht nur beibehalten, sondern sogar noch ausgeweitet. Statt ein modernes Einwanderungsgesetz zu schaffen, wurde der Charakter eines „Fremden-Polizeirechts“ vordemokratischen Gepräges ausgebaut.

Sicherheitspolitischer Kernpunkt des neuen Gesetzes ist die Verschärfung des Ausweisungsrechts. Wie schon in der Debatte um die Anti-Terror-Pakete von Ende 2001 machte sich die Union für eine Ausweisung auf bloßen Verdacht hin stark und argumentierte mit der falschen Behauptung, dass bisher nur rechtskräftig verurteilte Personen ausgewiesen und abgeschoben werden konnten.

Gegen wen und gegen wie viele Personen sich die Maßnahmen richten sollten, blieb dabei unklar. Bayerns Innenminister Günther Beckstein sprach von bis zu 3.000 Menschen[2] und zielte dabei offenbar auf die Mitglieder missliebiger Ausländervereine. Darüber hinaus präsentierte er eine Liste von 20 Personen aus seinem Bundesland, bei denen es bis dahin nicht zu einer Ausweisung gekommen war. Tatsächlich, so demonstrierte der FDP-Abgeordnete Max Stadler, war jedoch bei einem Teil der Vorgänge die Beweislage so dürftig, dass auch ein verschärftes Ausweisungsrecht keine Ausweisung ermöglicht hätte. In einer weiteren Gruppe von Fällen lagen bereits bestandskräftige Ausweisungen vor, eine Person war schon außer Landes geschafft. In einer dritten Gruppe schließlich gab es tatsächliche Abschiebungshindernisse menschenrecht­licher Art, um die die Behörden auch nach einer Verschärfung des Ausländerweisungsrechts nicht herumgekommen wären.

Trotzdem hielt die Union an ihren Verschärfungsvorschlägen fest und führte die Öffentlichkeit bewusst in die Irre. Eine Verurteilung war schon vor der Verabschiedung der Anti-Terrorpakete für eine Ausweisung nicht notwendig.[3] Gemäß § 45 Abs. 1 Ausländergesetz konnten damals schon Ausländer ausgewiesen werden, deren Aufenthalt „die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen beeinträchtigt“. Die Bestimmungen, mit denen nach dem 11. September 2001 die Ausweisung weiter erleichtert wurde, setzten nicht einmal mehr ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren voraus. Es genügt seitdem vielmehr, dass der Ausländer bei einer sicherheitsrechtlichen Befragung falsch Auskunft gegeben hat. Eine weitere Verschärfung des Ausweisungsrechts war deswegen in jedem Fall unnötig.[4]

Ausweisung terrorismusverdächtiger Ausländer

Unter den verschiedenen neuen Ausweisungsgründen findet sich nun auch die Möglichkeit der Ausweisung terrorismusverdächtiger Ausländer. Verbunden wurde die neue Ausweisungsmöglichkeit mit einem beschleunigten Abschiebungsverfahren. Aufgrund des neuen § 58a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) kann die oberste Landesbehörde (oder durch Übernahme das Bundesinnenministerium) „gegen einen Ausländer auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen“. Das Besondere an dieser neuen Vorschrift ist, dass Ausweisungs- und Abschiebungsverfahren zusammengelegt wurden. Die Abschiebungsanordnung ist sofort vollziehbar, einer Androhung bedarf es nicht.

Für die Abschiebungsanordnung reicht dabei eine Gefahrenprognose aus, die sich auf Tatsachen stützen muss. Welche Beweiskraft die Tatsachen jedoch haben sollen, bleibt unklar. Auch jeder Verdacht gründet sich auf Tatsachenfeststellungen. Hier besteht die Gefahr, dass es zu Abschiebungen kommt, die sich auf einen bloßen Verdacht gründen.

Rechtsmittel müssen innerhalb von sieben Tagen beim Bundesverwaltungsgericht (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO) eingelegt werden. Eine ergangene Flüchtlingsanerkennung oder die Feststellung anderweitiger menschenrechtlich begründeter Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG) durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sollen für die Entscheidung nach § 58a AufenthG nicht bindend sein. Sie sollen vielmehr erneut eigenständig von der obersten Landesbehörde bzw. dem Bundesinnenminister geprüft werden. Flüchtlingsschutz und anderweitiger menschenrechtlicher Abschiebungsschutz werden so zur Disposition derjenigen Akteure gestellt, die bereits ein einseitiges, nicht selten politisches Interesse an der Abschiebung entwickelt haben.

Fraglich ist, auf wie viele Personen das neue Verfahren angewendet werden wird. Während der Verhandlungen um die Neuregelungen wurde in den Medien kolportiert, Polizei und Verfassungsschutz gingen von 270 so genannten „Top-Gefährdern“ in Deutschland aus. Anfang 2005 berichtete nun das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, die Richter am Bundesverwaltungsgericht würden mit bis zu 2.000 Abschiebeverfahren jährlich nach dem neuen Recht rechnen.

Gegen diese Behauptung wandte sich umgehend die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Marion Eckertz-Höfer. Die Richterin bezeichnete diese Zahl als maßlose Spekulation. Für das Verfahren nach § 58a AufenthG gelte eine Eingriffsschwelle von erheblicher Höhe. Die Gefährdung müsse von ganz erheblicher Bedeutung sein, „in einer Reihe mit Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – also Verbrechen der Art, wie sie beispielsweise Hauptanklagepunkte in den Nürnberger Prozessen waren“.[5] Es bleibt zu hoffen, dass dieser Hinweis bei den Innenministern abschreckende Wirkung zeitigt.

„Hassprediger“

Zu dem neuen sicherheitspolitischen Arsenal gehört auch die Möglichkeit, so genannte „Hassprediger“ auszuweisen. Wer öffentlich z.B. terroristische Taten in einer Weise billigt oder dafür wirbt, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu stören, kann künftig ausgewiesen werden (§ 55 AufenthG).

Noch vor In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes wurde Mitte Dezember 2004 der Iman der Mevlana-Moschee in Berlin-Kreuzberg wegen „Hetzreden“ ausgewiesen. Der seit 1971 in Deutschland lebende türkische Geistliche habe durch die Billigung terroristischer Straftaten das friedliche Zusammenleben erheblich gestört – entschied das Berliner Oberverwaltungsgericht am 22. März 2005 und bestätigte damit die Ausweisung der Berliner Innenbehörde.[6] Der Iman habe „in Gewalt verherrlichender Weise Märtyrer in Jerusalem und Bagdad gepriesen“ und damit Assoziationen zu terroristischen Selbstmordattentaten hergestellt. Die Äußerungen seien nicht von seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit und Glaubensfreiheit gedeckt.

So entschlossen die Ausweisung von so genannten „Hasspredigern“ daherkommen mag, so wenig können sie tatsächlich bewirken. Personen, die an terroristischen Anschlägen beteiligt waren, sind in der Regel gerade nicht vorher öffentlich als „Hassprediger“ in Erscheinung getreten. Bloße Meinungsäußerungen hingegen mit der Ausweisung zu sanktionieren, ist undemokratisch.

Regelanfragen beim Verfassungsschutz

Die Union hat mit großem Getöse durchgesetzt, was schon längst Realität ist, nämlich verpflichtende Regelanfragen beim Verfassungsschutz vor der Einbürgerung. Bereits in Reaktion auf den 11. September 2001 haben alle Bundesländer diese Sicherheitsüberprüfungen bei Einbürgerungen eingeführt. Die Rechtsgrundlage hierfür hatte die rot-grüne Staatsbürgerschaftsreform geliefert. Gestützt auf diese Regelung überprüfte z.B. Hamburg 11.030 Einbürgerungswillige im Jahre 2002 und 8.302 im Jahre 2003.[7] In der Praxis führt die Regelanfrage bei den Verfassungsschutzämtern dazu, dass sich die Einbürgerungen noch weiter in die Länge ziehen. Sicherheitsrelevante Erkenntnisse kommen so gut wie nie zu Tage oder haben wenig Substanz. Die geheimdienstliche Über­prüfung führt vor allem zu Misstrauen auf Seiten der Migranten: Für die zum Teil schon seit mehreren Generationen in Deutschland Lebenden ist das Einbürgerungsverfahren noch unattraktiver geworden.

Auch die nun obligatorischen Anfragen beim Verfassungsschutz vor der Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels sind heute schon möglich. Die Resultate sind auch hier dieselben: Kaum relevante Erkenntnisse, die Verfahren ziehen sich in die Länge, die Betroffenen werden stigmatisiert.

Warndatei

Die rot-grüne Bundesregierung kündigte bereits im Zuge der Beratungen um das Zuwanderungsgesetz an, sich für eine „visumsrechtliche Warndatei“ auf europäischer Ebene einzusetzen. Alle Stellen, die Visa und Aufenthaltsgenehmigungen erteilen, sollen Zugriff auf eine zentrale Datei bekommen, in der die Personen und Organisationen erfasst werden sollen, die im Zusammenhang mit unerlaubter Einreise etc. aufgefallen sind. Daneben soll eine Beobachtung von Personen ermöglicht werden, die aus Staaten eingereist sind, in denen „islamistische Terroristen vornehmlich angeworben werden“. Erfasst werden sollen – so die Pläne – auch Personen, die sich durch die Einladung bestimmter Ausländer verdächtig gemacht hätten. Die Datei soll „zur Feststellung von Versagensgründen oder zur Prüfung von Sicherheitsbedenken im Visumverfahren“ EU-weit aufgebaut werden.[8]

Einen entsprechenden Vorschlag hatte die EU-Kommission im vergangenen Jahr gemacht, wonach der Visa-Datentausch zwischen Mitgliedstaaten geregelt werden soll.[9] Dieser Vorschlag wird derzeit im Rat und seinen Gremien geprüft. Bundesinnenminister Schily setzt sich auf EU-Ebene dafür ein, dass die Warndatei in das geplante Visa-Informationssystem (VIS) der 25 EU-Staaten integriert wird. Dieses System solle auch von der Polizei genutzt werden können. Diese Zweckentfremdung ist aus datenschutzrechtlichen Gründen problematisch. Mit einer Verabschiedung des Rechtsaktes wird bis Ende 2005 gerechnet.[10]

Sicherungshaft: nur verschoben?

Als einziges Mitglied des Europarats hatte Großbritannien die Sicherungshaft 2001 eingeführt und seine Verpflichtungen aus Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK, Recht auf Freiheit und Sicherheit) bis auf weiteres außer Kraft gesetzt und den Notstand nach Art. 15 EMRK erklärt. Das britische House of Lords erklärte diese Sicherungshaft schließlich am 16. Dezember 2004 für unwirksam. Es sei mit wesentlichen nationalen und internationalen Menschenrechtsgarantien nicht vereinbar. Die Rolle von unabhängigen Richtern, das Recht zu interpretieren und – auch gegen die Exekutive – zur Anwendung zu bringen, sei ein herausragendes Merkmal moderner demokratischer Staaten, ein Fundament jeglicher Rechtsstaatlichkeit.[11]

In Deutschland wurde die Sicherungshaft für terrorismusverdächtige Personen zunächst nicht eingeführt. Die Debatte darüber stellt jedoch einen Dammbruch dar. Bundesinnenminister Otto Schily hatte gefordert, Ausländer, die aus völkerrechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden können, in Sicherungshaft zu nehmen. Unionspolitiker hatten vorgeschlagen, diese Haft ohne Anklage und ohne Verurteilung auf zwei Jahre zu begrenzen und eine gerichtliche Überprüfung zu ermöglichen.[12]

Vertreter von CDU/CSU haben Bundesinnenminister Schily ernsthaft aufgefordert, er solle die erforderlichen Schritte zur „Lockerung des absoluten Abschiebeschutzes nach der Europäischen Menschenrechtskonvention einfordern“, damit kriminelle Extremisten letztlich auch abgeschoben werden können, also auch unter die Folter. Sie bewegen sich damit auf das US-amerikanische Modell des „out-sourcing“ der Folter zu.

Marei Pelzer ist Juristin und arbeitet als rechtspolitische Referentin bei PRO ASYL.
[1] BGBl. I 2004, Nr. 41, S. 1950
[2] Die Welt v. 25.3.2004; die tageszeitung v. 29.3.2004
[3] Deutscher Anwaltverein: Presseerklärung v. 18.3.2004, www.anwaltverein.de/03/02/ 2004/17-04.html
[4] Marx, R.: Terrorismusvorbehalt des Zuwanderungsgesetzes, in: Zeitschrift für Ausländerrecht 2004, H. 8, S. 275-282
[5] Süddeutsche Zeitung v. 31.1.2005
[6] Az.: OVG 3 S 17.05
[7] Freie und Hansestadt Hamburg, Landesamt für Verfassungsschutz: Verfassungsschutzbericht 2003, Hamburg 2004, S. 14
[8] Die Welt v. 27.5.2004
[9] KOM (2004) 835
[10] www.zuwanderung.de/2_eu-recht.html
[11] Lord Bingham of Cornhill, 2004, UKHL 56, A (FC) and others (appelants) vs. Secretary of State for the Home Department (respondent), u.a. Ziffer 42
[12] Berliner Zeitung v. 24.5.2004

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